Und auf einige Bemerkungen aus dem
eben genannten Artikel, der ein Protokoll einer Diskussion auf dem 16. ZEIT FORUM der Wissenschaft am 8. April 2005 darstellt, möchte ich dann doch noch eingehen.
Philipp-Christian Wachs zum Wunschbild des Lehrers, das in krassem Widerspruch stehe zum tatsächlichen Bild der Gesellschaft von den Lehrern:
»Ein deutscher Lehrer muss alles können. Er muss erziehen, sein Fach mit Leidenschaft und Fachkunde unterrichten und soziale Konflikte schlichten. Er muss mit immer größeren Leistungsunterschieden in immer größeren Klassen klar kommen, Schulbetrieb und Klassenfahrten organisieren, den Kontakt mit Betrieben und Jugendeinrichtungen des Umfeldes pflegen. Dazu muss er eigene Defizite und die seiner Kollegen aufzeigen, mit Eltern über Erziehungsaufgaben reden, jedes Kind individuell fördern, Nachhilfe geben, immer ansprechbar und natürlich freundlich sein – so weit die Bewertung.«
Ein paar weitere Punkte, die zu meinem Alltag gehören, habe ich in den
Aufgaben eines Lehrers zusammengestellt. Dies soll verdeutlichen, dass die Aufgabe zunächst einmal eine vielfältige und hochkomplexe ist – umso mehr, wenn man in die Einzelheiten geht, Ergebnisse der Hirn- und Lernforschung berücksichtigen will etc.
Enja Riegel bestätigt in anderen Worten die Ausführungen Ihres Vorredners und ergänzt
»Der durchschnittliche deutsche Lehrer, von dem ich auch immer gerne rede – und ich weiß, wovon ich rede, weil ich viel im Land rumkomme –, sagt immer: Och, wenn ich die Fünf los wäre, dann könnte ich Unterricht machen. Dann ist er die Fünf los und dann kommen wieder fünf andere und die hindern ihn wieder an einem guten Unterricht.«
Diese Exkulpationsstrategie kenne ich sowohl von mir als auch von anderen Kolleginnen und Kollegen. Sie ist aber nicht auf den Lehrerberuf beschränkt, sondern in allen anderen Bereichen ebenso anzutreffen. Auch Bibliothekarinnen wären viel glücklicher, wenn nicht immer wieder Leser die Bücher unordentlich verstellten, die Verkäuferin an der Fleischtheke arbeitete gern in ihrem Job, wenn sie nicht immer wieder erklären müsste, worin der Unterschied zwischen gemischtem Hack und Thüringer Mett besteht und so fort.
Im Lehrerberuf allerdings ist diese in Jahrzehnten antrainierte Haltung deshalb fatal, weil der Lehrer mit den Schüler arbeiten zu können hat, die da sind. Gerade Gymnasiallehrer müssen sich an den Gedanken erst gewöhnen, dass die früher selbstverständlich zur Aufgabe gehörende Auslese (»X ist aber eigentlich kein gymnasialer Schüler«) nun relativ plötzlich nicht mehr gewollt wird, weil zu den Ergebnissen der einschlägigen Bildungsstudien auch gehört, dass im Vergleich zu anderen Staaten nicht zu viele, sondern zu wenig hochschulreife Menschen unsere Sekundarstufen verlassen.
Wenn dieser Paradigmenwechsel aber gewollt ist (und ich halte ihn für sinnvoll), müssen entsprechende Ressourcen bereitgestellt und die Lehrerschaft von Politik und Gesellschaft deutlicher als bisher unterstützt werden.
Zur Grundthese zeigt Andreas Schleicher auf, dass sie eine analog angelegte Schuldzuweisung vornimmt wie die Lehrer selbst:
»Neue Lehrer braucht das Land? Ich denke, Sie finden keinen guten Unternehmensleiter, der sagen würde, ich muss erst mal neue Leute bekommen, bevor ich irgendwas anders machen kann.«
Und genau so ist es. Wir Lehrer, mit denen die Minsterien
nolens volens gute Schule organisieren sollen, wollen uns zum Beispiel fortbilden dürfen, damit wir besser werden. Nur wenn dies stets auf Kosten der unterrichtsfreien Zeit geht, ist die Motivation gering. Wenn die Fortbildungen auch noch selbst bezahlt werden müssen, ist die Motivation noch geringer. Und wenn ein
Institut für Qualitätssicherung, das hier in Schleswig-Holstein für die Lehrerbildung zuständig ist, kaum für mich sinnvolle Fortbildungen anbietet, kann die Motivation noch so gering sein - sie ist immer noch höher als das Angebot.