Weitere Knipsbilder aus Bruxelles, Paris, der Dordogne und Strasbourg gibt's im Flickr-Album (das Foto rechts zeigt eine Hauswand im Quartier des Marolles mit einem Bild aus Hergés Quick et Flupke, einer Serie, die in eben diesem damaligen Arbeiterviertel Brüssels spielt).
Paris: eine Stadt der Touristenmassen – kaum fassbar, dass noch eine weitere hier existieren soll.
Als ich frühmorgens von der Jugendherberge kommend durch die Straßen des 20., 11. und 12. Arrondissementslaufe, um einen raschen Blick auf die Seine zu werfen, begegnen mir nicht nur sechs andere Läufer, sondern auch ebenso viele Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts, die Inhalte von Abfalleimern nach Brauchbarem untersuchen. Die Suchenden sind nicht mehr zu sehen, wenn gegen 10 Uhr die Touristen auf die Straßen strömen …
Später steigen wir in Trocadéro aus der Métro, und schon bald begegnen wir den Schwarzen, die an Ringen, großen Schlüsselbunden ähnlich, Repliken des Eiffelturms in verschiedenen Größen feilbieten. Immer neue Konkurrenten der ersten Straßenhändler ersetzen während unseres Spaziergangs zum Turm die alten, und sie alle murmeln, flüstern, rufen, beten die gleiche Litanei der Preise und Rabattmodelle.
Unterm Turm dürfen sie nicht verkaufen, sie werden wahlweise von Polizisten oder von Militärs vom Platz gejagt. Unterm Turm dürfen nur die Touristen anstehen.
Der Weg zum Montmartre hinauf und der Blick über die Dächer.
Nirgendwo anders in Frankreich wurde das Geld für die Café-Rechnung so rasch vom Tisch gerafft wie hier in Paris.
Frédéric Beigbeder: Ein französischer Roman. München: Piper, 2010.
Beigbeder kokst. So weit, so alltäglich offenbar im Promi-Jetset-Stars-und-Sternchen-Milieu. Allerdings schnieft er sein Pülverchen von der Motorhaube eines öffentlich sichtbar abgestellten Autos, wird dabei erwischt und verbringt zwei Nächte hinter Gittern.
Dies ist Anlass für eine Selbstbefragung, für einen Rückblick in die Kindheit und Jugend, aber auch für eine Reflexion über das derzeitig Erreichte – während Beigbeder im Gefängnis über seine Verwahrlosung räsoniert, bekommt sein Bruder das Kreuz der Ehrenlegion verliehen, was dem Kokser ein nur zu deutliches Zeichen für das eigene Scheitern trotz (vermeintlich) gleicher Ausgangsbedingungen ist.
Es gibt also einige larmoyante Passagen. Trotzdem wird das Buch zunehmend interessanter – wenn beispielsweise die Eltern-Kind-Beziehungen, Lebensentwürfe und -realitäten der verschiedenen Generationen gegeneinander gestellt werden, wenn es insbesondere um die Bedeutung der Tochter für Beigbeder geht und so fort. Hier ist Leben.
Beeindruckend gerät ihm auch die Schilderung der Willkür des Staatsanwalts, der Beigbeder aufgrund seiner Prominenz eine weitere Nacht im Gefängnis – und zwar im Depot auf der Île de la Cité – beschert. Nach einer Schilderung der unmenschlichen Verhältnisse schreibt Beigbeder:
»Ich weiß, was einige Leser jetzt denken werden: Lieschen Müller spielt Marie-Antoinette im Kerker! Das denken Sie nur, weil Sie noch nie eingesperrt waren.
Jeder, der schon einmal in Untersuchungshaft gesessen hat, weiß, wovon ich spreche: vom Rückfall in den Zustand eines gefügigen, verängstigten Tiers. […] Das Echo der Schritte wird für immer in meinem Kopf widerhallen. Das Klirren der Ketten, der Schlüssel, der Handschellen, das Schluchzen. Die Eiseskälte unter der Erde. […] Frankreich hat Milliarden Euro aufgetrieben, um 2008 seine Banken wieder flüssig zu machen, aber diese Menschenverrotterei mitten in Paris nimmt man hin. […] Es ist der Wille der Regierung, diesen niederschmetternden Ort im Herzen unserer Innenstadt weiterbestehen zu lassen. Jemand hat ganz rational entschieden, Menschen in Frankreich zu foltern.« (197 f.)
Ich habe das Buch als Leseexemplar in die Hände bekommen (Dank an Piper!), hätte es mir wohl nicht gekauft, weil ich mir Beigbeder bislang als Werbefuzzi, der auch ein bisschen schreibt, vorgestellt hatte. Dieses Bild ist revidiert und korrigiert. Das Buch ist sicher kein Roman – aber eine romanhaft verdichtete, aufmerksame und durchaus lesenswerte Lebenszwischenbilanz.
Julien Green: Erinnerungen an glückliche Tage. München: Hanser, 2008.
Im Plauderton dargebotene Erinnerungen Greens an seine Kinder- und Jugendzeit in Paris sowie den Anfang seines künstlerischen Weges. Erstes Viertel des letzten Jahrhunderts.