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Masken · Lyrik · Geschlechtergerechte Sprache · Salat.

Keine drei Wochen dauerte es, bevor das Ministerium das Tragen einer MNB im Klassenraum wieder empfahl, drei Wochen, bis es am kommenden Montag wieder zur Pflicht wird. Es war angenehm, die Gesichter der Schüler*innen für diese Zeit mal wieder oder gar zum ersten Mal in diesem Schuljahr ganz zu sehen, aber vor dem Hintergrund wahrlich außergewöhnlicher politischer Verantwortungslosigkeit in Berlin, wo die geschäftsführende Regierung zwar noch ihr Salär bezieht, aber sich schon eine ganze Weile nicht mehr zuständig fühlt, und ein künftiger Kanzler, weil noch ungewählt, seine Richtlinienkompetenz noch nicht erworben hat, sodass das Juristenseminar der FDP allein entscheiden kann, war schon vor Monaten absehbar, dass eine unnötige vierte Welle kommen würde, wie beispielsweise Samira El Ouassil hier in Erinnerung ruft, was dann wieder nach unangenehmen Maßnahmen verlangt …

Ein Stapel LyrikbändeErfreulich immerhin das neue Korridorthema für das Zentralabitur am BG: die in den letzten drei Jahren geübten »realistischen Tendenzen in der Lyrik des 19. Jahrhunderts« sind mit Beginn des Schuljahres für den 13. Jahrgang der »modernen Lyrik im deutschsprachigen Raum von 1945 bis 1989« gewichen, was so einige großartige Lyriker*innen (rechts: Ausschnitt aus der Vorbereitungs- und Begleitlektüre, aus der die Auswahl für die Schüler*innen entsteht) entdecken lässt. Dabei machen wir auch nicht Halt vor gesungener Lyrik von Singer-/Songwritern, die man damals noch Liedermacher*innen nannte, und die mit mit heutiger Coolness inkompatibler und daher Erstaunen evozierender Überzeugung ihre Verse schmetterten. (Mir neu in der Auswahl: dass Udo Jürgens nicht nur Schlager gemacht hat.) Auch wenn ich die Lyrikinterpretation eigentlich immer für ein recht gut beherrschbares Thema halte, weil mit dem nötigen Analysehandwerkszeug Formales recht sicher bestimmbar ist, ist sie für viele Schüler*innen eher suspekt, weil das Verstehen des Spiels mit Metaphern, die Frage nach der Deutung, das Einbeziehen des historischen Hintergrunds etc. in vielen Fällen schwer fallen muss: als Lehrkräfte vergessen wir häufig, wie viel wir erst im Laufe der Jahre erlebt, gelernt und begriffen haben, und selbst der zeitlich nahe Korridor liegt mit seinem Enddatum über ein Jahrzehnt vor der Geburt unserer Schüler*innen …

Sicher nur zufällig zeitlich mit dem Wahlkampf im Zukunftsteam Armin Laschets zusammenfallend hat unsere Ministerin im September in einem Erlass verdeutlicht, dass das sogenannte »Gendern« in schulischen Zusammenhängen nicht erlaubt sei. Dass schulische Unterlagen mit Benennungen wie »Schüler (w/m/d)« nun besser lesbar oder ästhetisch ansprechender würden als bisherige Varianten mit Genderstern, halte ich für eine falsche Annahme; zudem gebietet mindestens die Höflichkeit, sich als nichtbinär begreifende Personen und all die anderen erfreulich vielfältigen Erscheinungsarten des Menschen mitzudenken, zu -schreiben und zu -sprechen, aber möglicherweise bedarf es für diese Erkenntnis in bestimmten Kreisen noch ein paar Jahrzehnte. In einigen Schulen, hört man, soll es ja auch noch Overhead-Projektoren geben: sie hätten sich bewährt, hört man. (Interessanterweise hält selbst die Direktorinnen- und Direktorenvereinigung im Philologenverband Schleswig-Holstein – eher nicht die Speerspitze progressiver Revolution – das ministerielle Handeln in dieser Sache für nicht richtig.)

Nun Freitagabend-Salat und ein Büchlein von Lisa Kränzler.

Ach, und der Wanderer ist mal wieder unterwegs.

Japanisch mit LuaTeX.

Morgen werden wir in unserer Lyrik-Einheit Haiku behandeln (und schreiben). Im dazu überarbeiteten Arbeitsblatt musste ich noch einmal den Unterschied zwischen Silben und Moren verdeutlichen (nicht weil es die meisten Schüler*innen besonders interessierte (deshalb auch nur eine Fußnote), sondern weil ich bis dahin noch nicht begriffen hatte (und ich gehe ja zur Schule, um etwas zu lernen), warum das Japanische, von dem man als Nichtsprecher annimmt, dass es kurze, knackige Silben hat, siebzehn Silben für einen Eindruck braucht, den beispielsweise deutschsprachige Haijin in weniger fassen können, was zu der Erkenntnis führt, dass die vermeintliche Silbenzahl 5 / 7 / 5 tatsächlich die Anzahl der Moren bezeichnet) und habe dazu das Nippon-Beispiel aus der Wikipedia verwendet. Um die Wiedergabe in Hiragana unter LuaLaTeX zu ermöglichen, bedarf es nur der Einbindung eines Pakets – \usepackage{luatexja-fontspec} (Teil von luatexja) – und schon zeigen sich die Schriftzeichen aufs Schönste.

Obacht: einige Sonderzeichen reagieren allergisch: Auslassungsmarkierungen mit drei Punkten müssen im Quelltext tatsächlich drei Punkte enthalten und nicht das einzelne Zeichen »Horizontal Ellipsis«; dieses wird sonst fehlerhaft dargestellt.

Küste · Marzipantorte · Spiel · Gedichte.

2020-01-11_120110Während der heutige Tag wieder mit Standardnieselwetter beginnt, schien am Samstag zeitweise die Sonne, daher sind wir rausgefahren nach Niendorf und von dort auf dem Höhenweg des Brodtener Ufers nach Travemünde spaziert. Dort waren wir tatsächlich vorher noch nie, weil wir, wenn uns nach Steilküste war, immer zwischen Rettin und Brodau wanderten.

2020-01-11_133822Wider Erwarten war die Küste gut besucht (hoffte, dass die Leute samstags noch mit Konsum beschäftigt sind), und im Café Marleen bekam man nur mit Glück noch einen Platz, was vor allem einer Geburtstagsgesellschaft im Saal zu verdanken war, die von der Wirtin und der Bedienung mit entschlossenem Frohsinn besungen wurde. Wir schufen indes auf unserem Tisch Platz für Flammkuchen und Tee, indem wir einen Teil der fragwürdigen Dekoration (siehe Bild) auf der Abtrennung aufreihten, was uns wiederum der Gefährlichkeit wegen einen Rüffel vom Kellner einbrachte, bevor er die wertvolle Deko anderswohin in Sicherheit brachte. Die Marzipantorte und der Espresso zum Nachtisch waren mächtig und stark.

2020-01-11_152558Zurück sind wir am Strand gewandert und haben die Wirkung der Ostsee auf die Küste bewundert.

Abends Alhambra (plus Wechselstuben und Diamanten) mit Freunden bei Tee und Weinen, Wurzeln und Haribo-Erzeugnissen.

Am Sonntag Laufen im Regen auf moddrigen Wegen, dann aus Gründen erneute Lektüre der BGVO und Entwurf eines Klausurenplans.

Das nächste Korridorthema für meinen Deutschkurs im 12. Jahrgang wird die Lyrik des 19. Jahrhunderts sein, was eine Fülle an Möglichkeiten eröffnet. Beginnen werde ich mit Goethes »Künstlerlied« und Holzens »Ihr Dach stieß fast bis an die Sterne« (AB), die – entstanden am Anfang bzw. Ende des Zeitraums – über die inhaltliche Gegensätzlichkeit bei gleicher Thematik Anlass zur Problematisierung bieten sollten.

Gelesen. Tempest.

Kate Tempest: Hold Your Own. Originaltext; ergänzt um Übertragungen von Johanna Wange. Berlin: Suhrkamp Taschenbuch, 2016.

Nachdem Everybody Down hier schon rauf & runter läuft, musste ich auch mal ein wenig in gedruckten Texten Kate Tempests lesen:

Hold Your Own beginnt mit dem Langgedicht »Tiresias«, das den Lebenslauf des Sehers, der uns beispielsweise in Sophokles’ Antigone in der Schreibweise Teiresias begegnen kann, in die aktuelle Zeit überträgt: ein Fünfzehnjähriger stromert der Schule ausweichend durch den Stadtwald, beobachtet Schlangen bei der Paarung. Verstört scheucht er sie auseinander, indem er sie mit einem Stock schlägt, und wird dafür von Hera mit einem Geschlechtswechsel bestraft. Fortan lebte Teiresias jahrelang als Frau, bis sie sich nach einiger Zeit wieder zum Mann verwandeln kann. Er wird in einem Streit zwischen Zeus und Hera als Richter berufen, entscheidet unter Verrat eines weiblichen Geheimnisses zugunsten Zeus’, worauf Hera ihm die Augen nimmt. Zeus versucht dies auszugleichen, indem er Teiresias zum Ausgleich zum Seher macht.

Auf das Langgedicht folgen einzelne kurze Gedichte, die aber in thematische Gruppen geordnet sind – »Childhood«, »Womanhood«, »Manhood«, »Blind Profit« – und damit wie auch innerhalb der einzelnen Gedichte mehr oder weniger explizit auf Tiresias und andere Mythen Bezug nehmen. Gleichwohl werden moderne Ereignisse geschildert, typische Situationen Heranwachsender gezeigt (»Bully«, »Thirteen«), wird vermutlich vielfach biografisches Material verwendet, Großstadtleben vorgeführt, Sprache und menschliches Sein reflektiert.

Language lives when you speak it. Let it be heard.
The worst thing that can happen to words is that they go unsaid.

Let them sing in your ears and dance in your mouth and ache in your guts. Let them make everything tighten and shine.

[…] [Erste Verse von »These things I know«]

Eine Stunde Bewegtbilder einer Performance des Zyklus:


Tempest lesen, hören und sehen kann nicht verkehrt sein.

(Johanna Wanges Übertragung scheint mir inhaltlich stimmig, kann aber der Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Englischen wegen des Rhythmus der Texte nicht 1:1 abbilden. Wo ich Wanges Übersetzung gebraucht habe, wird die Problematik auch gleich offenbar, etwa wenn in der Strophe

You’re the crazy on the corner
Old, and smelling weird
Queuing for electric
With birdbones in your beard. [Aus »Tiresisas«]

der vierte Vers mit »In der Schlange für die Strom-Wertbons« übersetzt wird. Als Nicht-Muttersprachler hätte ich diesen Vers vielleicht nicht genau verstanden, in der Übertragung wird mir der notwendige Hintergrund mitgeliefert, gleichzeitig aber die lakonische Kürze des Originalausdrucks vollkommen konterkariert. Gleichwohl halte ich die Parallelausgabe für empfehlenswert.)

Die Liebe, das Leben und die Lyrik II.

[Zum ersten Teil.]

Balladen werden normalerweise in der Unterstufe der Sek. I eingeführt als eine Art erzählender Lyrik. Als modernes gesungenes Beispiel dient uns Die Ballade von Wolfgang und Brigitte.

Nach dem Hören der Ballade (beim zweiten Mal mit parallel dazu mitlesbarem Text) wurden die Konstellationen unglücklicher Liebe thematisiert, auch die Lebensentwürfe spielten eine Rolle. Schließlich muss auch geklärt werden, wann das Ganze eigentlich spielt – im Text erhält man über die geschilderten Lebensweisen, die Namen der Figuren, aber auch Fakten wie Batikklamotten so einige Hinweise. Dabei bemerke ich, dass vermeintlich Selbstverständliches nicht immer tatsächlich selbstverständlich ist (»Wer ist Bob Dylan?« – Der hier).

Hausaufgabe ist nach dem Sehen des Videos die Beantwortung der Frage nach der Beziehung zwischen der Erzählung der Ballade und der Darstellung des Clips (in der UE vorher thematisierten wir theoretisch und analytisch Literaturverfilmungen).

In der Bearbeitung bemerken wir eine einzige explizite Übereinstimmung, nämlich den von einer Darstellerin des Videos gesprochenen Satz »Ich wollt eigentlich 'nen Schnitt machen / und frei sein« – schon das »Du engst mich ein« wird nicht aus dem Text übernommen. Das Video allerdings illustriert natürlich nicht den Song, sondern stellt eine zweite, korrespondierende Erzählung dagegen; in identischer Erzählzeit haben wir im Falle des Songs eine erzählte Zeit von vielleicht 10, 20 Jahren, im Falle des Videos einen in Stunden messbaren Abend, an dem ein sechzigster Geburtstag gefeiert wird. Die Übereinstimmung des Satzes muss nicht bedeuten, dass die Figuren im Video denen des Songs entsprechen, sie kann auch auf die Konstanz von Sätzen dieser Art in variablen Beziehungen hinweisen. Und so fort – man kann lange sprechen über Text und bewegtes Bild ...

Zum Video selbst übrigens gibt's einen Blogbeitrag drüben bei anmut und demut.

Der modernen Ballade gegenüber stelle ich Schillers »Der Handschuh« – wiederum mit vielfältigen Bezügen, unter anderem zur gestörten Minnesituation: während Reinmars Erzähler aus unserer ersten Kombination den Hierarchieunterschied nicht nur schätzt, sondern feiert, weist Schillers Ritter die spöttische Zuneigung von oben herab und das Spiel mit seinem Leben als unangemessen zurück; der Ritter emanzipiert sich.

Es können wiederholend noch einmal Kennzeichen der Ballade als lyrischer Form angesprochen werden. Daneben gebe ich eine Sammlung rhetorischer Mittel aus, von denen wir einige in »Der Handschuh« wiederfinden – die Sammlung indes wird die S bis zum Abitur begleiten und beispielsweise auch bei der Behandlung journalistischer Texte nach Weihnachten in Begleitung der Zeit für die Schule eine Rolle spielen.

[Zum dritten Teil.]

Die Liebe, das Leben und die Lyrik I.

»Die Liebe, das Leben und die Lyrik« – mit diesem Titel versehen ist eine kurze Lyrikreihe, die ich mit den S in meinem Deutschkurs mit erhöhtem Anforderungsniveau just absolviere.

Der Lehrplan Deutsch für das Berufliche Gymnasium benennt als thematische Schwerpunkte im Kernbereich 1 unter anderen »Literatur des 20. Jahrhunderts am Beispiel epischer und lyrischer Texte«, »untersuchende Analyse literarischer Texte« sowie »Texte zu Identität und jugendlicher Lebenswelt« (ebd., 26).

Leitidee des Lyrikkurses war die Kontrastierung der Form, in der den S Lyrik zumeist begegnet (als Liedtext nämlich, wie ich es als Unterrichtsanregung mal aus einem Workshop bei Harald Bock mitgenommen habe), mit Texten aus verschiedenen Epochen der Literaturgeschichte (die als Thema im Lehrplan nicht verankert ist).

Begonnen haben wir daher mit Immer da wo du bist, bin ich nie von Element of Crime – und zwar zunächst nur als als Text (Sven Regener, den ich auf meinem Arbeitsblatt als Verfasser genannt habe, war den S nicht bekannt, insofern lasen sie den Text als ein Gedicht wie jedes andere).

Nach dem Sammeln erster Eindrücke, die eher die Melancholie, eine düstere Aussage des Textes beschreiben, spiele ich den Song vor, der eine deutlich andere Grundstimmung evoziert als der reine Text – dieser Gegensatz allein kann (da es sich um die Interpretation eines Textes handelt) problematisierend wirken. Es kann nach genauerer Betrachtung des Textes mit seiner inhaltlichen Gliederung (2 mal 4 Verse Illusion, 2 Verse resigniertes/realistisches Erkennen der immer gleichen Situation; diese Aufteilung wird nach dem ersten Durchgang noch 2 mal wiederholt) erkannt werden, dass sich dies auch im Tongeschlecht wiederfindet – allerdings gespiegelt, sodass die (vermeintlich Erfüllung bringende) Illusion in Moll, die (vermeintlich enttäuschende) Realität in Dur erscheint.

In der genaueren Analyse und Interpretation des Textes nahmen S auch die Einschätzung vor, dass sich das erzählende Ich mit der Situation des steten Strebens und Nichterreichens der Angebeteten arrangiert habe – dies war die direkte Vorlage für den nächsten Text, den ich den S mitbrachte, nämlich Reinmar des Alten (von Hagenau): Ich wil allez gâhen (hier die Seite des Codex Manesse) – die Minnesangsituation, in der die Ritter die Nichterreichbarkeit so sehr beklagt wie sich selbst für das Ertragen dieses Leids feiert. Natürlich bekommen die S erst einmal die mittelhochdeutsche Version zu sehen, bevor sie sich an einen Übertragungsversuch machen und letztlich eine Übersetzungsvariante (von Helmut Brackert) lesen.

Inhaltlich thematisieren wir – unterbrochen von Zwischeninformationen zur niederen wie zur hohen Minne, zur Situation von Liebenden im 12./13. Jahrhundert generell, speziell zum Tagelied – die Dominanzsituation, die Überhöhung der Geliebten etc.

Spätestens, wenn die S den Element-of-Crime-Text jetzt nochmals zur Hand nehmen, fällt ihnen die Ähnlichkeit der Situation auf.

[Zum zweiten Teil.]