Skip to content

Ende des Schuljahres.

Morgen ist der letzte Schultag vor der langen unterrichtsfreien Zeit im Sommer.

Etwa 300 Klausuren im Beruflichen Gymnasium (Deutsch und Philosophie, Oberstufe), ungefähr 200 Klassenarbeiten in der beruflichen Ausbildung (Buchhandelsbetriebslehre, aber auch EDV) habe ich in diesem Schuljahr korrigiert (wenn ich nicht welche vergessen habe). Gerade in den letzten Wochen und Monaten war dies wieder besonders zeitaufwendig – so zeitaufwendig, dass die Unterrichtsvorbereitung weniger intensiv als angemessen erledigt werden musste (und die private Regeneration mehr als nur sparsam stattfand). Das ist – wie immer wieder festgestellt – ärgerlich und belastend, auch, weil die Korrekturarbeit außer dem Ergebnis einer Schulnote kein weiteres zeitigt.

Und ja: auf die unterrichtsfreie Zeit freue ich mich wegen dieser Anstrengungen mindestens so sehr wie die Schülerinnen und Schüler auf ihre Ferien.

Aber wieder habe ich in diesem Schuljahr viele Stunden Unterrichts erteilt, die mindestens mir Freude bereiteten: das Lehren und gemeinsame Lernen ist nach wie vor eine ganz wertvolle Erfahrung, die oft einfach richtig Laune macht, manchmal zufrieden (und manchmal natürlich auch ein schales Gefühl hinterlässt): Lehrer zu sein ist im Unterrichtsgeschehen eine im Großen und Ganzen tolle Sache.

Solltet Ihr aber noch die Wahl haben: nehmt nicht die Fächer mit langen Aufsätzen.

Adorno, Busch, Camus, Lohbeck, Epiktet, Rammstein: Philosophie-Essays als Klausurersatz.

Da bei uns am Beruflichen Gymnasium das Fach Philosophie im 12. Jahrgang nur mit zwei Wochenstunden unterrichtet wird, ist kaum Zeit für die sinnvolle Unterbringung zweier Klausuren pro Halbjahr. Seit zweieinhalb Jahren schreiben die S bei mir daher ein philosophisches Essay, für deren Anfertigung sie drei bis vier Wochen Zeit haben und das sie in getippter und ausgedruckter Form bei mir abgegeben, als Klausurersatzleistung.

Die ersten Male bin ich ausgegangen von den Vorschlägen zum Bundeswettbewerb philosophischer Essay, inzwischen bediene ich mich da mit Aufgaben, ändere aber auch ab, da mir die Vorschläge zuweilen zu langweilig sind, und ergänze aus eigener Lektüre.

Anders als bei herkömmlichen Klausuren, bei denen alle S einen identische Aufgabe bekommen, haben die S in diesem Fall sechs verschiedene Schreibanlässe, von denen sie eines auswählen. Zu diesem schreiben sie anhand einer selbstentwickelten These zum Thema ein philosophisches Essay.

Die Themen waren diesmal diese:

1. »Taubstummenanstalt – Während die Schulen die Menschen im Reden drillen wie in der ersten Hilfe für die Opfer von Verkehrsunfällen […], werden die geschulten immer stummer. Sie können Vorträge halten, jeder Satz qualifiziert sie fürs Mikrofon, vor das sie als Stellvertreter des Durchschnitts gestellt werden, aber die Fähigkeit miteinander zu sprechen erstickt.« [Ado51, 179 (Nr. 90)]

2. »Oh, hüte dich vor allem Bösen! / Es macht Pläsier, wenn man es ist, es macht Verdruß, / wenn man’s gewesen.« [Bus72, 67]

3. Evelien Lohbeck: Noteboek

4. Ȇber den Luxus
Als Maß für den Besitz soll jedem das leibliche Bedürfnis gelten wie der Fuß für den Schuh. Bleibst du dessen eingedenk, so wirst du Maß halten. Andernfalls geht es ohne Aufhalten die abschüssige Bahn hinab. Es ist wie mit dem Schuh: gehst du über das Bedürfnis des Fußes hinaus, so wird er zuerst vergoldet, danach mit Purpur verbrämt, endlich gar gestickt. Ist einmal das Maß überschritten, so gibt es keine Grenze mehr.« [Epi84, 44 (Nr. 39)]

5. »Wenn man zu denken anfängt, beginnt man untergraben zu werden.« [Cam42, 10]

6. Rammstein: Ich will [Ram01]

Für den Korrigierenden sind diese Ersatzleistungen immer angenehmer als Klausuren, weil sie formal und inhaltlich wenig standardisiert sind. Sie können mit Interesse gelesen werden – auch wenn das Essay als Form beim ersten Mal nur wenigen hinreichend gelingt. Beim zweiten Durchgang geht's schon besser. (Übrigens ein Grund dafür, dass ich so gut wie nie Benotungsskalen vorab festlege, sondern immer erst mal die Ergebnisse ansehe.)

Beim Korrigieren benutze ich – wie immer bei Aufsätzen – einen Rückmeldebogen.

Unter den S gibt es übrigens zwei Gruppen: solche, die sich durch die recht offene Form herausgefordert sehen, sich freuen, dass sie mal über längere Zeit (oder aber auch einfach nachts, wenn es sich besser schreibt) zuhause an einer Aufgabe arbeiten können und (mindestens relativ) beachtliche Leistungen erbringen und solche, die die herkömmliche Klausur schätzen, weil man da weiß, was man hat …

Literatur:

[Ado51] Adorno, Theodor W.: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1951 (Bibliothek Suhrkamp 236)
[Bus72] Busch, Wilhelm: Die fromme Helene. In: Das dicke Busch-Buch. Leipzig : Eulenspiegel, 1983 (EA 1872)
[Cam42] Camus, Albert: Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde. Reinbek bei Hamburg : Rowohlt Taschenbuch, 1991 (EA 1942) (rororo 12375)
[Epi84] Epiktet ; Schmidt, Heinrich (Hrsg.) ; Metzler, Karin (Hrsg.): Handbüchlein der Moral und Unterredungen. Stuttgart : Kröner, 1984 (KTA 2)
[Ram01] Rammstein: Mutter. Motor Music, 2001

Klausuren und Sibylle Berg.

So, letzte Klausuren dieser Ferien unterrichtsfreien Zeit korrigiert, Zensuren druntergeschrieben und gut is'. Nun noch rasch eine Das-sind-die-Fehler-und-so-könnte-man's-besser-machen-Präsentation basteln und die Dienstagsstunde ist fertig.

Die Klausur behandelte übrigens einen Kurztext von Sibylle Berg. Wenn man an Twitteraccounts etwas gut finden will, dann vielleicht den der Autorin. (Ich hab' ihn allerdings ganz old-school-mäßig per RSS abonniert. Erspart einem, zum »Follower« zu werden.) Dann wird auch gleich klar, dass viele der moralinsauren Lehren aus der Geschichte, die die S extra für den Deutschlehrer konstruierten und »rausinterpretierten«, vermutlich nicht ganz den Kern treffen.

Merksatz für die nächste Deutscharbeit also: Autoren sind immer mindestens drei Größenordnungen cooler als der Deutschlehrer, der ihre Geschichten mitbringt.

Klausuren, Klassen- und Abschlussarbeiten.

Letztes Wochenende der erste Philosophiekurs 11. Jahrgang, zur Zeit der zweite. Zwischendurch die Abschlussarbeiten der Buchhändler. Auf dem Schreibtisch warten noch die Philosophieklausuren des 12. Jahrgangs und müssen wahrscheinlich bis in die Weihnachtsferien hinein warten, da an diesem und dem nächsten Wochenende je zwei Klassensätze EDV-Arbeiten wegen Blockunterrichts termingebunden zu korrigieren sind. Es kommt im Laufe der nächsten Woche hinzu noch eine Arbeit zum Leseverständnis in der BFS sowie eine Klausur des Deutsch-Grundkurses im 13. Jahrgang.

Es geht nichts über eine ruhige und besinnliche Adventszeit.

(Hatte ich erwähnt, dass die Korrektur von Klassenarbeiten die unangenehmste Aufgabe von Lehrern ist?)