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Gelesen. Döblin.

Alfred Döblin: Die drei Sprünge des Wang-lun. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2008.

Rückenprägung mit Setzfehler
Rückenprägung mit Setzfehler
Die Gattungsbezeichnung als »Chinesischer Roman« verdeutlicht schon: dieses Buch stammt aus einer Zeit, in der Interesse an anderen Lebensweisen noch nicht als kulturelle Aneignung negativ missverstanden wurde – allerdings im Falle Döblins auch mit einer Genauigkeit der Vorbereitung einherging, die heute wohl auch kaum mehr möglich wäre –, sondern in ihren Produkten eine Möglichkeit der Erweiterung eigener (Lese-) Erfahrungen bedeutete.

Bei Döblin, Klabund, Brecht, Bethge (durch Mahlers Lied von der Erde bekannt), Mühlenweg und anderen war das Nachdichten fremder Dichtung einerseits das gleiche, was Goethe mit seinen Hafis-Nachdichtungen in weltliterarischer Absicht schon gezeigt hatte, andererseits eine Vorwegnahme dessen, was wir heute als Mash-Up kennen: das Begegnen menschlichen Schaffens unterschiedlicher Provenienz mit in der Kombination immer neuen, zuweilen irritierenden neuen Wirkungen.

Döblin verarbeitet in seinem Buch eine historische Begebenheit, den Aufstand Wang-luns (王倫) und seiner Anhänger aus der Masse der Ärmsten gegen den Machthaber Khien-lung im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert. Wang-luns Handlungen changieren in der Darstellung Döblins zwischen harmlosen Eulenspiegeleien und monströsen Massenvergiftungen, zwischen treuer Zuneigung zu einem früh von der Staatsmacht getöteten Freund und unvermittelten Abgrenzungen, sobald er sich weiter entwickelt. An sich ungebildet, verschreibt er sich der taoistischen Lehre des Wu-wei (無為) (während die Machthaber sich auf Kung Fu-tse (孔夫子) berufen), erkennt aber auch die Grenzen der Erträglichkeit der Zumutungen: kann Gewaltlosigkeit dauerhaft ein hinreichendes Mittel gegen die Gewalt der Machthabenden sein?

Wang wippte auf, setzte sich erst, während er sprach; er redete in dem harten, überrennenden Tone: »Daß der Kaiser ein Edikt erlassen hat, uns auszurotten, weißt du. Wer ist der Kaiser? Ja, wer ist das, ›Kaiser‹? Ich kenne Blitze, die Menschen an Flüssen, auf dem Wasser, unter Buchen erschlagen; man kann von einem Bergsturz zerquetscht werden; Überschwemmungen gibt es, Feuer und wilde Tiere, Schlangen. Auch Dämonen. Die können uns alle umbringen. Es gibt kaum eine Rettung dagegen. Wer ist ›Kaiser‹? Die unerhört schamlose Anmaßung des Kaisers, uns umzubringen, worin liegt die begründet? Er ist ein Mensch wie du, ich, die Soldaten. Weil sein Ahne, der tote Mann aus der Mandschurei, hier anmarschierte und das Mingreich eroberte, hat der Kaiser Khien-lung das Recht, die Wahrhaft Schwachen und mich umzubringen. Diese Tat seines Ahnherrn setzt ihn den Überschwemmungen, Bergstürzen, Schlägen gleich? Das sollst du mir beweisen, Ngoh. Solange du mir nicht den toten Chu widerlegst, der in den Kaisern Einbrecher und Massenmörder sah, bestreite ich, daß sie das Schicksal der Gebrochenen Melone und der Wahrhaft Schwachen sind. Ich vergifte mich nicht freiwillig. Ich weise sie zurück, wohin sie gehören. Unser Bund lebt auf der Erde, die ihm gehört.« [Ebd., 413 f.]

Dass Döblins Roman, wie die von der Wikipedia benannten sieben Auflagen in den Jahren vom Erscheinen 1916 bis 1921 zeigen, so erfolgreich war, ist durchaus erstaunlich, denn schnell und leicht zu lesen ist er nicht unbedingt, wenn man die Besonderheiten von Döblins Schreiben goutieren will.

Dies bestätigt im Übrigen auch der Verlag, dessen Klappentexter*in die Frage »Stille sein, nicht widerstreben, kann ich es denn?« fälschlicherweise Wang-lun zuordnet, obwohl sie von Hai-tang ausgesprochen wurde, der Frau des Generals, der über Wang-luns Bewegung siegte, die aber in den Machtspielen der Männer ihre Tochter verlor. Im letzten Absatz bekommt der Roman damit eine Ahnung feministischen Denkens.