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Neue Essay-Themen: Immanuel Kant, John Gray, Marc Aurel, Laurie Penny, Guoan Shiyuan, Albert Einstein, Roger Willemsen.

Damit ich in den Osterferien etwas zu lesen (und leider auch zu benoten) habe, bekamen meine Philosophiekurse im 12. Jahrgang wieder die obligatorische Essayaufgabe, für die sie gut drei Wochen Bearbeitungszeit hatten. Gestern habe ich die Texte der Schüler_innen eingesammelt, nun darf ich die Lektüre beginnen.

Hier sind die Themen dieses Halbjahres zum Nachlesen.

Neue Essay-Themen: Distelmeyer, Baumann, Popper, Suarez, Wittgenstein, Arendt.

Ein weiterer Essay-Durchgang ist an der Reihe. Die Themen diesmal:

1. Jochen Distelmeyer: Wohin mit dem Hass? [Dis09] (Video mit nerviger Werbung.)

2. Die Suche nach Vorbildern, Beratung und Orientierung hat Suchtcharakter: Je mehr man es tut, desto mehr braucht man es und desto größer das empfundene Unbehagen, wenn der Nachschub ausbleibt. Alle Abhängigkeiten sind als Mittel der Befriedigung des Bedürfnisses selbstzerstörend, sie zerstören die Möglichkeit dauerhafter Befriedigung überhaupt. [Bau03, 88]

3. Unsere Unwissenheit ist grenzenlos und ernüchternd. [Pop04, 79]

4. Nehmen Sie die Aufgabe an, eine Rechtfertigung für die Freiheit der Menschen zu finden […]? »Ja« oder »nein«? [Sua11, 619]

5. Laß uns menschlich sein – [Wit84, 492]

6. Der Platz des denkenden Ichs in der Zeit wäre der Zwischenraum zwischen Vergangenheit und Zukunft, die Gegenwart, jenes geheimnisvolle und schlüpfrige Jetzt, eine bloße Lücke in der Zeit, auf die nichtsdestoweniger die festeren Zeitformen der Vergangenheit und der Zukunft insofern hingeordnet sind, als sie das bezeichnen, was nicht mehr ist, und was noch nicht ist. Daß sie überhaupt sind, verdanken sie offensichtlich dem Menschen, der sich zwischen sie eingeschoben und dort seine Gegenwart eingerichtet hat. […]

[Hier folgt im Original eine Abbildung, die den S auch vorliegt.]

Im Idealfall sollte die Wirkung der beiden Kräfte, die unser Parallelogramm bilden, in einer dritten Kraft resultieren, der Diagonalen mit dem Ursprung an dem Punkt, an dem sich die Kräfte treffen und auf den sie wirken. […] Diese Diagonalkraft, deren Ursprung bekannt ist, deren Richtung durch Vergangenheit und Zukunft bestimmt ist, deren Kraft aber auf ein unbestimmtes Ende hinzielt […], sie scheint mir eine vollkommene Metapher für die Tätigkeit des Denkens. [Are77, 204f.]

[Are77] Arendt, Hannah: Vom Leben des Geistes. Bd. 1: Das Denken. München : Piper, 1989 (EA 1977) (SP 705)
[Bau03] Baumann, Zygmunt: Flüchtige Moderne. Frankfurt am Main : Suhrkamp Taschenbuch, 2003 (es 2447)
[Dis09] Distelmeyer, Jochen: Heavy. Columbia, 2009
[Pop04] Popper, Karl R.: Auf der Suche nach einer besseren Welt: Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren. 13. Aufl. München : Piper, 2004 (sp 699)
[Sua11] Suarez, Daniel: Daemon. Reinbek bei Hamburg : Rowohlt Taschenbuch, 2011 (rororo 25643)
[Wit84] Wittgenstein, Ludwig: Vermischte Bemerkungen. In: Über Gewißheit. Werkausgabe Bd. 8. Frankfurt am Main : Suhrkamp Taschenbuch, 1984 (stw 508)

Adorno, Busch, Camus, Lohbeck, Epiktet, Rammstein: Philosophie-Essays als Klausurersatz.

Da bei uns am Beruflichen Gymnasium das Fach Philosophie im 12. Jahrgang nur mit zwei Wochenstunden unterrichtet wird, ist kaum Zeit für die sinnvolle Unterbringung zweier Klausuren pro Halbjahr. Seit zweieinhalb Jahren schreiben die S bei mir daher ein philosophisches Essay, für deren Anfertigung sie drei bis vier Wochen Zeit haben und das sie in getippter und ausgedruckter Form bei mir abgegeben, als Klausurersatzleistung.

Die ersten Male bin ich ausgegangen von den Vorschlägen zum Bundeswettbewerb philosophischer Essay, inzwischen bediene ich mich da mit Aufgaben, ändere aber auch ab, da mir die Vorschläge zuweilen zu langweilig sind, und ergänze aus eigener Lektüre.

Anders als bei herkömmlichen Klausuren, bei denen alle S einen identische Aufgabe bekommen, haben die S in diesem Fall sechs verschiedene Schreibanlässe, von denen sie eines auswählen. Zu diesem schreiben sie anhand einer selbstentwickelten These zum Thema ein philosophisches Essay.

Die Themen waren diesmal diese:

1. »Taubstummenanstalt – Während die Schulen die Menschen im Reden drillen wie in der ersten Hilfe für die Opfer von Verkehrsunfällen […], werden die geschulten immer stummer. Sie können Vorträge halten, jeder Satz qualifiziert sie fürs Mikrofon, vor das sie als Stellvertreter des Durchschnitts gestellt werden, aber die Fähigkeit miteinander zu sprechen erstickt.« [Ado51, 179 (Nr. 90)]

2. »Oh, hüte dich vor allem Bösen! / Es macht Pläsier, wenn man es ist, es macht Verdruß, / wenn man’s gewesen.« [Bus72, 67]

3. Evelien Lohbeck: Noteboek

4. Ȇber den Luxus
Als Maß für den Besitz soll jedem das leibliche Bedürfnis gelten wie der Fuß für den Schuh. Bleibst du dessen eingedenk, so wirst du Maß halten. Andernfalls geht es ohne Aufhalten die abschüssige Bahn hinab. Es ist wie mit dem Schuh: gehst du über das Bedürfnis des Fußes hinaus, so wird er zuerst vergoldet, danach mit Purpur verbrämt, endlich gar gestickt. Ist einmal das Maß überschritten, so gibt es keine Grenze mehr.« [Epi84, 44 (Nr. 39)]

5. »Wenn man zu denken anfängt, beginnt man untergraben zu werden.« [Cam42, 10]

6. Rammstein: Ich will [Ram01]

Für den Korrigierenden sind diese Ersatzleistungen immer angenehmer als Klausuren, weil sie formal und inhaltlich wenig standardisiert sind. Sie können mit Interesse gelesen werden – auch wenn das Essay als Form beim ersten Mal nur wenigen hinreichend gelingt. Beim zweiten Durchgang geht's schon besser. (Übrigens ein Grund dafür, dass ich so gut wie nie Benotungsskalen vorab festlege, sondern immer erst mal die Ergebnisse ansehe.)

Beim Korrigieren benutze ich – wie immer bei Aufsätzen – einen Rückmeldebogen.

Unter den S gibt es übrigens zwei Gruppen: solche, die sich durch die recht offene Form herausgefordert sehen, sich freuen, dass sie mal über längere Zeit (oder aber auch einfach nachts, wenn es sich besser schreibt) zuhause an einer Aufgabe arbeiten können und (mindestens relativ) beachtliche Leistungen erbringen und solche, die die herkömmliche Klausur schätzen, weil man da weiß, was man hat …

Literatur:

[Ado51] Adorno, Theodor W.: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1951 (Bibliothek Suhrkamp 236)
[Bus72] Busch, Wilhelm: Die fromme Helene. In: Das dicke Busch-Buch. Leipzig : Eulenspiegel, 1983 (EA 1872)
[Cam42] Camus, Albert: Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde. Reinbek bei Hamburg : Rowohlt Taschenbuch, 1991 (EA 1942) (rororo 12375)
[Epi84] Epiktet ; Schmidt, Heinrich (Hrsg.) ; Metzler, Karin (Hrsg.): Handbüchlein der Moral und Unterredungen. Stuttgart : Kröner, 1984 (KTA 2)
[Ram01] Rammstein: Mutter. Motor Music, 2001

Fertig!

(Mit der Korrektur der letzten 23 Philosophieklausuren für das Jahr 2010 nämlich. Jetzt gibt's erst mal eine Weihnachtspause, bevor's am 3. Januar 2011 mit 37 Philosophie-Essays los geht ...)

Eine frohe Weihnachtszeit allen Leserinnen und Lesern!