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Lehrer sein II.

Enja Riegel im genannten Kontext weiter:

»Aber die Lehrer, auch die, die wollen, die richtig mit Enthusiasmus in die Schule reinkommen, werden ausgebildet an Universitäten zu Schmalspurfachwissenschaftlern. Das sind doch Dünnbrettbohrer, wenn sie acht oder zehn Semester ein Fach studiert haben.«


Nein. Wenn ich genau weiß, was im Studium überflüssig war, dann waren es Pädagogikveranstaltungen und schulferne Fachdidaktik-Seminare. Wenn man als Dünnbrettbohrer aus dem Studium kommt, muss dies nicht unbedingt am Studium liegen.

Solange man nicht wirklich Lehrer ist, kann man es noch so oft simulieren und üben: es ist gleichwohl nicht dasselbe. Ein Praktikant und selbst noch ein Referendar in der Schule genießt im Regelfall die volle Solidarität der Schülerinnen und Schüler; zu einem Teil des Systems wird er erst hinterher; erst dann auch verhalten S sich so, wie sie sich gegenüber allen L verhalten. Die Komplexität, die Fülle der Anforderungen werden ebenfalls erst dem fertigen Lehrer bewusst.

Die Notwendigkeit einer profunden akademischen Ausbildung zumindest für Gymnasiallehrer - und das bedeutet ein Vollstudium, keine halben Bachelor-Geschichten! – wird vermutlich nur von demjenigen bestritten werden können, der in erster Linie die Kosten der Lehrerausbildung im Auge hat.

Einen sehr deutlichen Standpunkt in dieser Sache nimmt Wibke Beutler in ihrem lesenswerten Aufsatz »Ohne Fachdidaktik ginge es auch. Plädoyer für die Entflechtung von Theorie und Praxis in der LehrerInnen-Ausbildung« (Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes. 4 (2003): 510-517) ein. Sie kommt zu dem Fazit:

»Die fehlende Verflechtung von Theorie und Praxis ist nicht das Problem, vielmehr sollte die Trennung konsequent vollzogen werden.«


Dem kann ich nur voll & ganz zustimmen.

Enja Riegel hingegen meint weiter:

»Dann kommen sie in die Schule, gehen in ein Studienseminar oder wie man das nennt. Das soll dann die Praxisausbildung sein. Dort lernen sie das Gesamtkunstwerk der Einzelstunde zu zelebrieren, die dann prämiert wird.«


Wenn die Ausbildenden am Studienseminar gute Lehrer sind, werden sie wissen, welche Referendare für den Schuldienst taugen. Die Frage ist: soll jetzt hier plötzlich Selektion erlaubt sein (was ich für sinnvoll halte) oder sollen auch die Studienleiter jeden Ankommenden zum Lehrer ausbilden?

Dass die Vorführstunden eine Farce sind, weiß jeder Teilnehmende. Gleichwohl lassen sich Qualitätsunterschiede auch in diesen Sonderstunden sehen - ein Übriges muss die Menschenkenntnis der integren Ausbildungslehrer leisten.

Aus den Mängeln der Studienseminarausbildung allerdings lässt sich niemals sinnvoll begründen, warum ein solches System, wie in Schleswig-Holstein geschehen, durch ein untaugliches ersetzt werden sollte, in dem viele Lernanlässe für Referendare nicht mehr bestehen, die Referendare schon im Referendariat in die Vereinzelung getrieben werden und so fort. Es ist dies ein Beispiel für eine kontraproduktive und undurchdachte Reform, mit der keiner der Beteiligten zufrieden ist. Die Ausnahme von dieser Regel: der Finanzminister.

Solange Schulpolitik unter der Prämisse der Finanzierbarkeit durchgeführt wird, wird Schule immer wieder scheitern. Trotz guter Lehrer, trotz pfiffiger Schüler.

Lehrer sein.

Und auf einige Bemerkungen aus dem eben genannten Artikel, der ein Protokoll einer Diskussion auf dem 16. ZEIT FORUM der Wissenschaft am 8. April 2005 darstellt, möchte ich dann doch noch eingehen.

Philipp-Christian Wachs zum Wunschbild des Lehrers, das in krassem Widerspruch stehe zum tatsächlichen Bild der Gesellschaft von den Lehrern:

»Ein deutscher Lehrer muss alles können. Er muss erziehen, sein Fach mit Leidenschaft und Fachkunde unterrichten und soziale Konflikte schlichten. Er muss mit immer größeren Leistungsunterschieden in immer größeren Klassen klar kommen, Schulbetrieb und Klassenfahrten organisieren, den Kontakt mit Betrieben und Jugendeinrichtungen des Umfeldes pflegen. Dazu muss er eigene Defizite und die seiner Kollegen aufzeigen, mit Eltern über Erziehungsaufgaben reden, jedes Kind individuell fördern, Nachhilfe geben, immer ansprechbar und natürlich freundlich sein – so weit die Bewertung.«


Ein paar weitere Punkte, die zu meinem Alltag gehören, habe ich in den Aufgaben eines Lehrers zusammengestellt. Dies soll verdeutlichen, dass die Aufgabe zunächst einmal eine vielfältige und hochkomplexe ist – umso mehr, wenn man in die Einzelheiten geht, Ergebnisse der Hirn- und Lernforschung berücksichtigen will etc.

Enja Riegel bestätigt in anderen Worten die Ausführungen Ihres Vorredners und ergänzt

»Der durchschnittliche deutsche Lehrer, von dem ich auch immer gerne rede – und ich weiß, wovon ich rede, weil ich viel im Land rumkomme –, sagt immer: Och, wenn ich die Fünf los wäre, dann könnte ich Unterricht machen. Dann ist er die Fünf los und dann kommen wieder fünf andere und die hindern ihn wieder an einem guten Unterricht.«


Diese Exkulpationsstrategie kenne ich sowohl von mir als auch von anderen Kolleginnen und Kollegen. Sie ist aber nicht auf den Lehrerberuf beschränkt, sondern in allen anderen Bereichen ebenso anzutreffen. Auch Bibliothekarinnen wären viel glücklicher, wenn nicht immer wieder Leser die Bücher unordentlich verstellten, die Verkäuferin an der Fleischtheke arbeitete gern in ihrem Job, wenn sie nicht immer wieder erklären müsste, worin der Unterschied zwischen gemischtem Hack und Thüringer Mett besteht und so fort.

Im Lehrerberuf allerdings ist diese in Jahrzehnten antrainierte Haltung deshalb fatal, weil der Lehrer mit den Schüler arbeiten zu können hat, die da sind. Gerade Gymnasiallehrer müssen sich an den Gedanken erst gewöhnen, dass die früher selbstverständlich zur Aufgabe gehörende Auslese (»X ist aber eigentlich kein gymnasialer Schüler«) nun relativ plötzlich nicht mehr gewollt wird, weil zu den Ergebnissen der einschlägigen Bildungsstudien auch gehört, dass im Vergleich zu anderen Staaten nicht zu viele, sondern zu wenig hochschulreife Menschen unsere Sekundarstufen verlassen.

Wenn dieser Paradigmenwechsel aber gewollt ist (und ich halte ihn für sinnvoll), müssen entsprechende Ressourcen bereitgestellt und die Lehrerschaft von Politik und Gesellschaft deutlicher als bisher unterstützt werden.

Zur Grundthese zeigt Andreas Schleicher auf, dass sie eine analog angelegte Schuldzuweisung vornimmt wie die Lehrer selbst:

»Neue Lehrer braucht das Land? Ich denke, Sie finden keinen guten Unternehmensleiter, der sagen würde, ich muss erst mal neue Leute bekommen, bevor ich irgendwas anders machen kann.«


Und genau so ist es. Wir Lehrer, mit denen die Minsterien nolens volens gute Schule organisieren sollen, wollen uns zum Beispiel fortbilden dürfen, damit wir besser werden. Nur wenn dies stets auf Kosten der unterrichtsfreien Zeit geht, ist die Motivation gering. Wenn die Fortbildungen auch noch selbst bezahlt werden müssen, ist die Motivation noch geringer. Und wenn ein Institut für Qualitätssicherung, das hier in Schleswig-Holstein für die Lehrerbildung zuständig ist, kaum für mich sinnvolle Fortbildungen anbietet, kann die Motivation noch so gering sein - sie ist immer noch höher als das Angebot.