Skip to content

Gelesen. Reimann.

Brigitte Reimann: Franziska Linkerhand. Berlin: Aufbau, 1998.

Nachdem ich vor vielen Jahren die gekürzte Fassung las, nun die Relektüre. Nach wie vor ein kraftvolles Buch mit guten Beobachtungen und feinen Formulierungen, aber auch dem Entstehungsprozess geschuldeten formalen Schwächen.

Da das ganze Buch schreit »Ihr macht es falsch in Hoyerswerda (und anderenorts)!«, ist nicht wirklich ersichtlich, was die dieser Fundamentalkritik gegenüber marginalen Streichungen aus Sicht der DDR-Zensoren gerade gerückt haben könnten.

Interessant zu lesen auch als ergänzende Lektüre zu Grit Lemkes Kinder von Hoy.

Gelesen. Braun.

Volker Braun: Die Unvollendete Geschichte und ihr Ende. Berlin: Suhrkamp, 1998.

Im den Unterrichtsunterlagen zum Lyrikkorridor ist auch Volker Brauns »Das Eigentum« gesammelt, und so wurde ich erinnert, einmal wieder etwas von ihm zu lesen. Der oben verzeichnete Band zeigt aufs bitter Vortrefflichste die verquere Misslungenheit der DDR und deren Einfluss auf ihre Bürger*innen – nicht nur in der in Sinn und Form 1975 ersterschienenen »Unvollendeten Geschichte« (die ich vor zehn Jahren schon einmal las), sondern vor allem im erst später entdeckten Hintergrund, den Volker Braun nach dem Beitritt seines Landes in den Stasi-Akten recherchiert.

Gelesen. Janka.

Walter Janka: Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch, 1989.

Das Buch habe ich in meiner Buchhandelszeit zwar verkauft, aber nicht gelesen (wo anfangen, wo aufhören, wenn man täglich eine vortrefflich sortierte Buchhandlung um sich hat?). – Jetzt nachgeholt: die Geschichte des Leiters des Aufbau-Verlags, der im Zuge spätstalinistischer Säuberungen dem Staat zum Opfer fällt. Nach wie vor schauderhaft zu lesen.

Gelesen. Brussig.

Thomas Brussig: Wie es leuchtet. Frankfurt: S. Fischer, 2004.

Wie fern dieses Thema doch schon ist. Wie vertrieben von scheinbar Wichtigerem, vom Alltag: Knalltüten fabulieren vom Niedergang Deutschlands und fühlen sich im vermeintlichen Kampf gegen die Zeitläufte heroisch eins mit dem Lauf der Geschichte, indem sie, das schon damals falsche »Wir« rezitierend, an den Niedergang der DDR erinnern.

Gelesen. Wegehaupt.

Matthias Wegehaupt: Die Insel. Berlin: Ullstein, 2005.

Ein Tausend-Seiten-Roman verdient schon ein wenig mehr Worte als nur den lakonischen Eintrag »Gelesen«, umso mehr, wenn er letztlich gefällt.

Matthias Wegehaupt ist eigentlich Maler, und so erstaunt es auch nicht, dass die Hauptfigur des Romans, norddeutsch geprägt »Unsmoler« genannt, ebenfalls als Künstler auf einer kleinen Ostseeinsel sein Auskommen sucht. Über die 40 Jahre der DDR (und ein wenig darüber hinaus) bildet Wegehaupt das Leben auf der Insel in Miniaturen, Landschaftsbildern, Porträtserien ab und erfasst damit sowohl die Inselbewohner – Lütt Otto, dessen Pferd Unsmoler »totschmeißt«, Lüders, den Traktoristen, Elfriede als Postbotin und andere –, aber auch die neuen Herren der Insel: den »Inselchef« genannten höchsten Parteivertreter, den Mitarbeiter (der Staatssicherheit), die weiteren Angestellten des Objekts.

Themen sind die Umgestaltung der Insel über die Jahrzehnte als Zeichen der gewaltsamen Annektierung, die Auswirkungen auf die eng umgrenzte Inselgesellschaft, die dabei stellvertretend für die DDR insgesamt steht, das Verhalten der Bürger im Angesicht des zunehmend deutlicher werdenden Totalitarismus, die Spannung zwischen Bürger und Künstler sowie Künstler und Staatsgewalt (unter den besonderen Bedingungen der DDR, die sich ja als kulturfreundlich verstand), natürlich auch die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Frage nach der Möglichkeit eines richtigen, mithin glücklichen Familienlebens im falschen und so fort.

Weitgehend realistisch erzählt Wegehaupt das Ganze, zumindest ohne gewollt wirkende Manierismen, lässt sich viel Zeit für die Schilderung der Geschichte; »Geschichte« meint hierbei in erster Linie tatsächlich dargestellte Zeitgeschichte, denn die Figuren bleiben weitgehend Charaktermasken (der Fischer, der Traktorist, der, Abschnittsbevollmächtigte, der Mitarbeiter …), allein bei Unsmoler selbst sowie dem benachbarten Künstlerpaar sind Anflüge von Entwicklung erkennbar. Eine Abkehr vom Realismus zeigt sich vor allem in den Nachahmungen von Unsmolers Naturerfahrungen, die für ihn Grundlage neuer Werke werden, aber auch gerade in der ersten Hälfte des Buches in humoristischen Zuspitzungen von Begebenheiten und ironisierenden Beschreibungen von Figuren und Sachverhalten.

Der Fokus scheint für Wegehaupt auf der Darstellung des Künstlercharakters selbst zu liegen, der sich als auf Ansprache hin umgänglich, aber von sich aus uninteressiert am gesellschaftlichen Verkehr zeigt, zeitweise – bedingt durch Schaffens- oder Blockadephasen – fast soziophob, auf seine Arbeit konzentriert, der sich sein Leben und damit auch seine Liebste (die diese Unbedingtheit letztlich flüchtet) unterordnen muss.

Obwohl der Inselchef der oberste Machthaber auf der Insel ist und Maßnahmen aller Art weitgehend auf seine Vorstellungen zurückgehen, wird er stets auch als kleines Licht im Staatsapparat gezeigt, das von Anfang an kaum eine Handlung allein aus eigenem Wollen vollzieht: fast immer richten sich seine Gedanken auf die höheren Hierarchiestufen, und je weiter die Erzählung voranschreitet, desto deutlicher wird des Inselchefs immerwährende existenzielle Angst, nun den entscheidenden Fehler begangen oder die wichtige Entscheidung unterlassen zu haben, was ihm von oben vorgeworfen werden könnte.

Die die Interessen des Einzelnen überrollende Gewalt im Namen einer übergeordneten Idee übrigens, die Wegehaupt über tausend Seiten sehr eindrücklich und gewiss nicht verharmlosend zeigt, wird im letzten Kapitel noch einmal relativiert: was dem Inselchef die schnurgerade volkseigene Betonpiste (und andere architektonische Fragwürdigkeiten) als Zeichen der Entwicklung und des Erfolges war, sind den ausschließlich am privaten Profit interessierten Investoren nach 1989 dann ebenso inselfremde Golfplätze, Bootshäuser und Jachten. Als Verkäufer für die Investoren indes tritt einer auf, den der Leser schon aus dem alten System gut kennt …

Und der Maler ist wieder fremd. –

Dass mein Exemplar des Buches den Stempel »Mängelexemplar« trägt, ist nicht dem Roman selbst, wohl aber dem Korrektorat anzulasten: nicht wenige Rechtschreib- und Kommafehler, auch vom Lektorat übersehene widersinnige versehentliche Vertauschungen von Figuren etc. zeigen, dass bei Ullstein zu wenig auf Qualität geachtet wird.

Der Roman selbst darf – auch als Gegenstück zu Tellkamps Der Turm – gern wieder entdeckt werden. (Danke für den Tip, Almut!)

Gelesen. Bohley.

Bärbel Bohley: Englisches Tagebuch 1988. Berlin: BasisDruck, 2011.

Wie wichtig die Gespräche sind mit den Freunden, wie intensiv das gemeinsame Nachdenken über Alternativen zum Bestehenden … vieles von dem vermisst Bohley in dem halben Jahr, das sie wegen Unbotmäßigkeit außerhalb der DDR zu verbringen hat in der Hoffnung der Herrschenden, dies könne die Protestierenden an den Gründen für ihren Aufstand zweifeln lassen.

»Was bei uns [in der DDR] der Staat zu verhindern sucht, machen hier [im Westen] die Mode, der Trend und das Geld. Du sollst manipuliert werden und die Frage nach dem Sinn deines Lebens vergessen.« (Ebd., 115)

All die Namen, die uns noch vertraut sind und meinen S sicher so gar nichts mehr sagen …

Gelesen. Tellkamp.

Uwe Tellkamp: Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008.

Zuvor: dieses Buch wird nicht zu meinen Lieblingsbüchern zählen. Aber es ist auch keines, dessen Lektüre den Leser unberührt entlässt.

Die Geschichte einer bürgerlichen Gegengesellschaft im Dresden der 1980er Jahre erzählt Tellkamp, indem er verschiedene Reflektorfiguren ihren Ausschnitt aus der Wirklichkeit erleben lässt. Dabei scheint der Turm, das über der Stadt liegende Wohnviertel der Protagonisten, zunächst heimeliges Refugium vor den Zumutungen des real existierenden Sozialismus. Diese Sicht allerdings wird rasch zerstört: die vermeintliche Oppositionshaltung wird nur im privaten Rahmen gelebt, nach außen ist Schauspielerei angesagt. Der Staat hat Zugriff auf jeden, der sich ihm nicht durch Flucht entzieht.

Uwe Tellkamp äußert sich in einem Interview überrascht über die Tatsache, dass sein Buch auch im Westen gelesen wird. Tatsächlich ist es vermutlich für im Westen Aufgewachsene wichtiger als für ehemalige DDR-Bürger.

Trotz allfälliger Nörgeleien literarisch geübter Leser (andere überstehen die ersten 100 Seiten ohnehin nicht) ein lohnendes und wichtiges Buch.

(Und nein: mit den Buddenbrooks hat es natürlich nicht viel zu tun.)

Buch bei Amazon angucken.