Christoph Hein:
Drachenblut. Darmstadt: Luchterhand, 1983.
Die geradezu katatonische Lebensführung einer allein lebenden Ärztin in geradliniger Pflichterfüllung wird von ihr selbst umso deutlicher als gut behauptet, als sie durch den überraschenden Tod des (fremden) Freundes problematisiert werden müsste: bereits im Kindesalter erworbene Qualitäten – keine Fragen zu stellen, Vorsicht zu zeigen, Umgang nur mit den richtigen, nämlich systemunterstützenden Leuten, Abwehr des bedrohlich Anderen oder auch nur eigener Emotionalität, in der das befestigte Selbstbild zum Wanken kommen könnte – werden im Laufe des erwachsen Werdens und des Ankommens in der bespitzelten und bespitzelnden Gesellschaft perfektioniert, sodass die Protagonistin schließlich beruhigt ihr Mantra denken kann:
Es geht mir gut. Heute rief Mutter an, und ich versprach, bald vorbeizukommen. Mir geht es glänzend, sagte ich ihr. Ich bin ausgeglichen. Ich bin einigermaßen beliebt. Ich habe wieder einen Freund. Ich kann mich zusammennehmen, es fällt mir nicht schwer. Ich habe Pläne. Ich arbeite gern in der Klinik. Ich schlafe gut, ich habe keine Alpträume. Im Februar kaufe ich mir ein neues Auto. Ich sehe jünger aus, als ich bin. Ich habe einen Friseur, zu dem ich unangemeldet kommen kann, einen Fleischer, der mich bevorzugt bedient, eine Schneiderin, die einen Nerv für meinen Stil hat. Ich habe einen hervorragenden Frauenarzt, schließlich bin ich Kollegin. Und ich würde, gegebenenfalls, in eine ausgezeichnete Klinik, in die beste aller möglichen Heilanstalten eingeliefert werden, ich wäre schließlich auch dann noch Kollegin. Ich bin mit meiner Wohnung zufrieden. Meine Haut ist in Ordnung. Was mir Spaß macht, kann ich mir leisten. Ich bin gesund. Alles was ich erreichen konnte, habe ich erreicht. Ich wüßte nichts, was mir fehlt. Ich habe es geschafft. Mir geht es gut. [Ebd., 156]
Die im Laufe des Romans lakonisch geschilderte Zurichtung auf soziale Passgenauigkeit und geradezu enervierende Zufriedenheit ist offenbar das äußerste, was an Gesellschaftskritik geäußert werden konnte. Die Kritik Heins am Zensursystem, die er in einem
Referat auf dem X. Schriftstellerkongreß 1987 äußerte –
Das Genehmigungsverfahren, die staatliche Aufsicht, kürzer und nicht weniger klar gesagt: die Zensur der Verlage und Bücher, der Verleger und Autoren ist überlebt, nutzlos, paradox, menschenfeindlich, volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar.
– ist wohlbegründet; die Grenzen des Sagbaren manifestieren sich bei Hein in der Gestaltung einer innerhalb der gesellschaftlichen Rollenerwartungen starr funktionierenden, entemotionalisierten Figur.