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Gelesen. Hein.

Christoph Hein: Gegenlauschangriff. Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege. Berlin: Suhrkamp, 2019.

Nicht immer ganz bescheiden erzählte, aber doch interessante Erinnerungen des Autors aus DDR- und Wendezeiten. Einige Glanzstücke, so beispielsweise die Betrachtungen über Funktionsweisen des Kulturbetriebs oder über das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, von dem man annehmen sollte, dass es über die Jahre Pläne für die Wiedervereinigung hätte ausarbeiten können, aber …

Die Schubladen waren leer.

Da die Arbeit dieser Behörde mittlerweile hinfällig geworden war, wurde sie im Januar 1991, vierzig Jahre nach ihrer Gründung, mit einem pompösen Staatsakt aufgelöst, bei dem man den Mitarbeitern des Ministeriums für Fragen der Wiedervereinigung dafür dankte, dass sie zwar nichts für diese Vereinigung getan hatten, aber dies unermüdlich. [Ebd., 72]

Kurzweilig.

Gelesen. Hein.

Christoph Hein: Drachenblut. Darmstadt: Luchterhand, 1983.

Die geradezu katatonische Lebensführung einer allein lebenden Ärztin in geradliniger Pflichterfüllung wird von ihr selbst umso deutlicher als gut behauptet, als sie durch den überraschenden Tod des (fremden) Freundes problematisiert werden müsste: bereits im Kindesalter erworbene Qualitäten – keine Fragen zu stellen, Vorsicht zu zeigen, Umgang nur mit den richtigen, nämlich systemunterstützenden Leuten, Abwehr des bedrohlich Anderen oder auch nur eigener Emotionalität, in der das befestigte Selbstbild zum Wanken kommen könnte – werden im Laufe des erwachsen Werdens und des Ankommens in der bespitzelten und bespitzelnden Gesellschaft perfektioniert, sodass die Protagonistin schließlich beruhigt ihr Mantra denken kann:

Es geht mir gut. Heute rief Mutter an, und ich versprach, bald vorbeizukommen. Mir geht es glänzend, sagte ich ihr. Ich bin ausgeglichen. Ich bin einigermaßen beliebt. Ich habe wieder einen Freund. Ich kann mich zusammennehmen, es fällt mir nicht schwer. Ich habe Pläne. Ich arbeite gern in der Klinik. Ich schlafe gut, ich habe keine Alpträume. Im Februar kaufe ich mir ein neues Auto. Ich sehe jünger aus, als ich bin. Ich habe einen Friseur, zu dem ich unangemeldet kommen kann, einen Fleischer, der mich bevorzugt bedient, eine Schneiderin, die einen Nerv für meinen Stil hat. Ich habe einen hervorragenden Frauenarzt, schließlich bin ich Kollegin. Und ich würde, gegebenenfalls, in eine ausgezeichnete Klinik, in die beste aller möglichen Heilanstalten eingeliefert werden, ich wäre schließlich auch dann noch Kollegin. Ich bin mit meiner Wohnung zufrieden. Meine Haut ist in Ordnung. Was mir Spaß macht, kann ich mir leisten. Ich bin gesund. Alles was ich erreichen konnte, habe ich erreicht. Ich wüßte nichts, was mir fehlt. Ich habe es geschafft. Mir geht es gut. [Ebd., 156]

Die im Laufe des Romans lakonisch geschilderte Zurichtung auf soziale Passgenauigkeit und geradezu enervierende Zufriedenheit ist offenbar das äußerste, was an Gesellschaftskritik geäußert werden konnte. Die Kritik Heins am Zensursystem, die er in einem Referat auf dem X. Schriftstellerkongreß 1987 äußerte –

Das Genehmigungsverfahren, die staatliche Aufsicht, kürzer und nicht weniger klar gesagt: die Zensur der Verlage und Bücher, der Verleger und Autoren ist überlebt, nutzlos, paradox, menschenfeindlich, volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar.

– ist wohlbegründet; die Grenzen des Sagbaren manifestieren sich bei Hein in der Gestaltung einer innerhalb der gesellschaftlichen Rollenerwartungen starr funktionierenden, entemotionalisierten Figur.

Gelesen. Hein.

Christoph Hein: Trutz. Berlin: Suhrkamp Taschenbuch, 2018.

Konventionell erzählte Geschichte einfacher Leute, die in zwei Diktaturen zu leiden haben. Fallada meets Rybakow: nach der Gewalt der Nationalsozialisten nach der Machtergreifung fliehen die Protagonist*innen nach Moskau und erfahren dort über Jahre die Willkür des Stalin-Terrors.

Gegenwartsliteratur im Deutschunterricht.

Meinem Deutsch-Grundkurs im 13. Jahrgang werde ich anempfehlen, die nächste Lektüre nicht im Klassenverband zu lesen, sondern stattdessen zu zweit oder zu dritt an einem Buch zu arbeiten und dieses dann den MitS zu präsentieren.

Halbjahresthema ist »Produktion, Rezeption und Wertung von Literatur und Medien«, daher werden wir im literarischen Teil Gegenwartsliteratur in den Blick nehmen.

Bislang habe ich (aus verschiedenen Gründen) folgende Texte ausgewählt:

Uwe Timm: Die Entdeckung der Currywurst
Klaus Modick: Bestseller
Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt
Markus Werner: Am Hang
Christoph Hein: Frau Paula Trousseau
Juli Zeh: Adler und Engel vermutlich doch eher Spieltrieb
Christoph Ransmayr: Der fliegende Berg
Monika Maron: Endmoränen
Steffen Kopetzky: Grand Tour oder die Nacht der Großen Complication
Katja Lange-Müller: Die Letzten. Aufzeichnungen aus Udo Posbichs Druckerei
Frank Schätzing: Der Schwarm

Es sind also schwierige und weniger schwierige Texte, Bestseller und wenig massenkompatible, aber immer Texte von gewisser Qualität (wer noch Anregungen für interessante Taschenbücher hat: immer her damit!).

Nun geht's an die Planung der Erarbeitungsbegleitung: mehr oder weniger konkrete Aufträge? Mehr oder weniger Hilfen? Mehr oder weniger Kriterien für die Vorstellung im Kurs? Etc. (Macht Laune.)

[Update 2.2.2009: Streichungen und Ergänzungen der obigen Liste sind auf Gespräche hier und anderenorts zurückzuführen.]