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Gelesen. Kurzeck.

Peter Kurzeck: Bis er kommt. Frankfurt am Main: Stroemfeld / Roter Stern, 2015.

In diesem aus dem Nachlass herausgegebenen Romanfragment wollte Peter Kurzeck den Zeitraum erfassen zwischen der ersten telefonischen Mitteilung Jürgens, seine Freundin Pascale sei nach einem Streit – »Nicht einmal Streit […]. Bloß die Sorgen.« [Ebd., 27.] – um das von ihnen gemeinsam im südfranzösischen Barjac eröffnete Restaurant fortgelaufen, bis kurz vor der Ankunft Jürgens in Frankfurt. Nebenher werden natürlich die üblichen Themen Kurzecks variiert; viel Alltags- und Familiengeschichte. –

[…] von allen Seiten knallen die Autotüren. Man könnte Autotüren auch so bauen, daß man sie leise zumacht, sagte ich. Ja, aber dann hätten sie nicht soviel Freude an ihren Autos, sagt Sibylle. [Ebd., 98]

Vor der Beendigung des Projekts ist Kurzeck gestorben, vielleicht die Hälfte des Textes liegt – allerdings nicht in von ihm freigegebener Fassung – vor. Nur 190 der insgesamt 378 Seiten sind Romanfragment, der Rest Editionsgeschichte sowie Notizen, Entwürfe und Dokumente, darunter auch Faksimiles von Manuskriptseiten bzw. -zetteln (beschrieben wurden zum Beispiel auch Hotelpapier, Straßenkarten, Kassenzettel und Teebeutelverpackungspapier), die ahnen lassen, welche Mühe die Transkription des Textes bereitet haben muss. –

Unter den dem Buch beigegebenen Materialien auch die Grabrede für Jürgen Klaus. Darin heißt es:

Ich bin Schriftsteller. Ich glaube nicht an den Tod und auch nicht an die Vergänglichkeit. Ich denke, daß es sich dabei um einen menschlichen Irrtum handelt. Eines Tages werden wir darauf kommen, daß wir da etwas wesentliches [sic] nicht kapiert oder falsch verstanden haben. Wir können Menschen, die von uns gehen, nicht austauschen und auch nicht ersetzen. Wir müssen sie uns, genau wie die eigene Lebensgeschichte, aus der Erinnerung jeden Tag neu erschaffen. Dann sehen wir, daß die Toten nicht wirklich gegangen sind. Sie sind nicht gestorben. Sie leben mit uns. Keiner stirbt. [Ebd., 363] –

Im Roten Stern bestellt und gekauft. Verlag und (empfehlenswerte!) Buchhandlung sind Relikte als revolutionär verstandener Zeiten.

London 2015 – Tag 3.

2015-07-24_112346Vorher: Tag 1Tag 2.

Für den dritten Tag – wir sind inzwischen beim 24. Juli – haben wir uns einen Spaziergang am Regent’s Canal entlang vorgenommen. Dieser führt quer durch Londons Norden, aufgrund von Höhenzügen, die er durchquert, allerdings teilweise durch nicht begehbare Tunnel. Wir entscheiden uns daher dafür, hinter dem letzten Tunnel zu beginnen und den Kanal dann bis Little Venice zu begleiten.

2015-07-24_125403Bei der Planung hatten wir allerdings nicht bedacht, dass es in London auch regnen könnte: unsere letzten Kurzaufenthalte in London waren jeweils geprägt von hochsommerlicher Hitze, schon die relativ kühle Witterung der ersten Tage war eher eine Überraschung für uns. Da die Möglichkeit von Regen nicht vorgesehen war, machten wir uns nach einem etwas ausführlicheren Frühstück (inzwischen hatten wir auch Haferflocken, frisches Obst und Joghurt erworben, weil Toast allein auch nicht das Wahre ist) mit einer angemessen Menge Tees trotz feinen Niederschlags, den wir als Zeichen für das baldige Aufklaren deuteten, auf den Weg und fuhren mit dem Bus zunächst Richtung Muriel Street, wo wir die Wanderung am Tunnelausgang begannen.

2015-07-24_115349Am Kanal ist es auch recht schön und vor allem so gut wie menschenleer, und ich vermute, das liegt nicht nur am etwas stärker werdenden Nieselregen. Es liegen die üblichen englischen Kanalboote in unterschiedlichen Erhaltungszuständen am Ufer, das Ufer ist grün, zuweilen gibt es Reste früherer Industrien und Handelsstationen zu sehen, ab & zu kann man Touristen beim Schleusen zusehen (meist kurbelt und schiebt die Frau, während der Mann am Steuer und Gashebel steht).

2015-07-24_115504Mit der zurückgelegten Strecke verändert sich der Regen vom Niesel- zum veritablen Dauerregen, und als wir uns trotz Regenbekleidung nass genug fühlen, brechen wir die Wanderung bald nach dem Londoner Zoo (durch dessen Gelände Kanal und Weg führen) ab, suchen uns einen Doppeldecker und fahren in die Innenstadt.

2015-07-24_125203In der Charing Cross Road soll der flagship store von Foyles stehen, die Gerüchte trügen nicht, und auch wenn man im Café im Obergeschoss leider keinen Platz für uns frei gehalten hat, kann man die nächsten zwei Stunden problemlos in den verschiedenen Abteilungen verbringen.

Nimmt man die sich aus der Existenz solcher Buchtempel ergebende Aufgabe ernst, wird offenbar, welches Unrecht in der Notwendigkeit von Erwerbsarbeit steckt. Ich würde ja gern mal ein wenig vorspulen bis Sternzeit 41509,1, in der die Konzentration auf die wesentlichen Aufgaben des Menschen möglich sein wird! (Diverse Anschaffungen aus dem Foyles-Aufenthalt werden beizeiten in der Leseliste erscheinen …)

Weil der Regen nicht weniger wird, machen wir uns nach dem Stöbern auf nach Hause, wo wir etwas Feines kochen, lesen und eine [Kind 2 insistiert:] deutlich mehr als eine Folge Game of Thrones gucken.

Zu Tag 4.

Gelesen. Loest.

Erich Loest: Nikolaikirche. München: Deutscher Taschenbuch, 1997.

Mitbringsel aus der Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Konnte mich wegen akuter Literaturüberlastung und Zeitmangels für gar nichts entscheiden, als ich kürzlich dort stöbern durfte – habe dann den Loest mitgenommen, weil ich Nikolaikirche schon immer mal lesen wollte. Hat sich aber nicht bewährt: sozialistischer Realismus, angewandt auf das Rumoren vor 1989 und – vor allem – die Reaktion der Vertreter der sichernden Organe: das verspricht nicht nur literarische Langeweile, das erfüllt die Norm auch noch.

Muss also nochmal nach Leipzig, was Gutes kaufen.

Thomas Bader (1942–2014).

Thomas Bader ist tot.

Er war der Inhaber der – nein, er war die Freiburger Buchhandlung zum Wetzstein, über die ich hier schon einmal schrieb. Ein Buchhändler vom alten Schlag. Der, der mich zum Buchhändlern brachte und nach wie vor das Idealbild der anderen, der Literatur und Ästhetik verpflichteten Buchhandlung prägte, fern dem Mainstream, in der eigenes Wissen und Können Sortiment wurde, stets klar und wach im Urteil, bei allem Traditionsbewusstsein auch immer wieder neugierig und daher für die Kunden anregend.

Danke, Herr Bader.

Grober Unfug.

Der Besuch im Comicladen Grober Unfug (Blog) endete aufgrund von information overload meinerseits in akuter Kaufunfähigkeit – aber immerhin haben Kind2 QRN ruft Bretzelburg und Kind1 Mattéo entdeckt und bezahlen lassen – und Mattéo (Erster Teil: 1914–1915) ist nun wirklich ein lesenswerter Comic: eine gute Geschichte um die freiwillig-unfreiwillige Meldung des Titelhelden für die Teilnahme am ersten Weltkrieg und die daraus erwachsenden Erkenntnisse, glaubhaft gestaltete Figuren, das ganze in aquarellierten Bildern ... ein feines Album.

Und der Besuch in der Comichandlung sei hier natürlich auch noch einmal ausdrücklich jedem comicaffinen Berlinreisenden anempfohlen.