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Gelesen. Modick.

Klaus Modick: Die Schatten der Ideen. Berlin: Eichborn, 2008.

Geschickte Verschachtelung dreier Ebenen: die des Protagonisten (Moritz Carlsen), der als writer in residence an eine amerikanische Universität in Vermont geht, dort ein Manuskript entdeckt

eines jüdischen Historikers, der, vor den Nazis geflohen und später an eben jener Universität etabliert, in die Fänge McCarthys gerät, weil er nicht nur mit Gewerkschaftern, Linken und Anarchisten bekannt war, sondern auch

über Giordano Bruno lehrte, der wiederum der Inquisition zum Opfer fiel.

Carlsen verfolgt die im Manuskript erzählte Geschichte, stellt Nachforschungen an, stößt auf Ungereimtheiten, vertuschte Informationen und Gegner ...

Das ganze ist – auch wenn man Modick ab & an ein beherzteres Lektorat wünscht – spannend und unterhaltsam erzählt.

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Gelesen.

Semprún
Jorge Semprún: Was für ein schöner Sonntag! München: Süddeutsche Zeitung, 2004.

Assoziativ kombinierte Episoden über den Tod im Konzentrationslager Buchenwald, Goethe, der mit Eckermann hier hätte vorbeigehen können, den Partisanenkampf in Spanien und Frankreich, den Stalinismus und die Auseinandersetzung des philosophischen Kommunisten Semprún mit der Parteilinie. Wenige den immer gleichen Tagesablauf im KZ kennzeichnende Erlebnisse werden immer wieder hinterfragt und führen zu immer neuen Querverbindungen.

Besonders beeindruckend erschien mir die Schilderung der von Gefangenen – aufgrund eines ausgeklügelten Beziehungsssystems meist Kommunisten – aufrechterhaltenen Lagerverwaltung: die gleichsam Beförderten erkennen ihre Situation im moralischen Dilemma, werden schuldig, indem sie ihr Leben retten, entscheiden durch das Zusammenstellen von Transporten in besonders harte Arbeitslager über Leben und Tod mit. Und der Antisemitismus eines kommunistischen Verwalters unterscheidet sich nicht wesentlich von dem der Organisatoren der Vernichtung.

Kein leichtes Buch, auch kein wirklich sensationell gutes, aber eines, das von Wichtigem berichtet.

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Herbert Kranz und »Ubique Terrarum«.

Titelbild Kranz:

Zu Herbert Kranz gibt es auf diesen Seiten und in der Wikipedia etwas nachzulesen; beide Biografien scheinen mir jedoch eher exkulpierend im Hinblick auf die Rolle Kranzens im "Dritten Reich": so informiert die Wikipedia

»Ab 1933 gerät er mehrmals ob seiner liberalen Einstellungen auch in seinen Werken mit der herrschenden Nazidiktatur in Konflikt, wird sowohl von Zeitungen (1943 Frankfurter Zeitung), als auch von der Akademie (1933) entlassen.

Nach dem Krieg wohnt er als freier Schriftsteller [...].«

– Kein Wort mithin zum Beispiel über Das Buch vom deutschen Osten, in dem Kranz die Geschichte deutscher Besiedelung in Osteuropa durch die Jahrhunderte erzählt. Im Vorwort schreibt er:

»Nie wird er [der Verfasser, Herbert Kranz] einen Sonntagnachmittag im Juli [1939] vergessen. Er schrieb gerade über Friedrich den Großen [...] Sätze nieder [...] – da hallte von draußen der Marschtritt von Soldaten und das unheimlich klanglose Klappern von Pferdehufen auf den Asphalt. Er trat ans Fenster und sah unten ein Infanteriebataillon durch die Straße ziehen, dessen Ziel der Westwall war. Auf die folgenden großen Geschehnisse, den Zusammenbruch Polens, die Neuordnung des Ostens mit ihren beispiellosen Umsiedlungen, konnte das Buch, das im November 1939 erschien, nur eben hinweisen.«

Polen sei also einfach so zusammengebrochen – vor diesem Hintergrund würde es mich schon interessieren, was Herbert Kranz im in der Frankfurter Illustrierten 1940 erschienenen Artikel »So war es in den entscheidenden Stunden« zu sagen hatte - leider liegt mir diese »auf Grund der Akten und mündlicher Mitteilungen der beteiligten Herren des Auswärtigen Amtes« veröffentlichte »erste Geschichtsreportage« nicht vor.

Im Buch vom deutschen Osten jedenfalls verbreitet Kranz recht ungeniert die Mär vom starken Deutschland, das den anderen Gebieten, die wie von selbst sich Deutschland angegliedert hätten, nur helfend beigesprungen sei:

»Österreich wurde wieder die Ostmark des Deutschen Reichs, [...] Memel kehrte zum Reich zurück, Danzig folgte ihm, und als Polen, getreu seiner Tradition, die unsinnigsten Wunschgebilde als Wirklichkeit zu nehmen [...] den deutschen Vorschlag einer gedeihlichen Regelung der Beziehungen zum Deutschen Reich nicht einging, dazu aber fortfuhr, die Volksdeutschen seiner Gebiete unmenschlich zu behandeln, vernichteten die deutschen Truppen in einem achtzehntägigen Feldzuge, wie ihn die deutsche Geschichte noch nicht gesehen hatte, das polnische Heer [...]. Die zur Führung berufenen Mächte des Ostens, Deutschland und Rußland, konnten nun darangehen, diesen Osten neu zu gliedern [...].«

1943 übrigens wurde dieses Buch nochmals unverändert nachgedruckt; nach einem unerwünschten Schriftsteller sieht dies nicht aus.

Hinzu kommt der Eindruck der Kinder- und Jugenbuchsammlung der Universität Graz, »die Ostafrika-Erzählungen von Herbert Kranz [spiegelten] gewaltsame Eroberung, imperiale Unterdrückung und Rassenwahn« wider. Ob das so ist, kann ich mangels Belegexemplaren nicht verifizieren; auch ist ein deutlicher Unterschied zwischen »widerspiegeln« und »gutheißen« – hier wäre sicher Bedarf für genaue Analyse.

Zumindest die in den Lexikonartikeln angedeutete Aussage, Kranz sei ein deutlicher Gegener des Naziregimes gewesen, lässt sich sicher nicht halten; hier sollten die Autoren Wahrheitstreue walten lassen und nichts beschönigen.

In der Generation der in den 40er und 50er Jahren geborenen Männer ist der Name Kranz hingegen mit ganz anderem verknüpft: mit der Kinderbuchreihe »Ubique Terrarum«: in klassischer Abenteuerromanmanier handelt sie von den Erlebnissen einer Gruppe von sechs Männern, die im Auftrag einer Londoner philantrophischen Company Aufträge in aller Welt ausführt - Mission impossible auf katholisch.

In ihrer Zusammensetzung und ihrem pädagogischen Impetus steht sie für Völkerverständigung, moralische Integrität und gleichberechtigtes Miteinander. Sie verdeutlicht den Wert von Wissen und Erfahrung, Neugier und Toleranz, zeigt, wie Hierarchie in Frage gestellt und allenfalls freiwillig anerkannt wird.

In einem heute liebenswert antiquiert wirkenden Ton wurden die noch nicht fernsehgewöhnten Jungs der 50er und 60er Jahre über Sitten und Gebräuche in fernen Ländern aufgeklärt, lernten unbekannte Gegenden kennen und erfuhren, wie in einem Team (damals noch nicht so abgenutzt wie heute) zusammengearbeitet wird, indem jeder seine Fähigkeiten zum Besten des Ganzen einbringt.

Da ich als Zwölfjähriger zwei Bücher Kranzens, die mein Vater in seiner Kindheit gelesen hatte, in meine Bibliothek stellen durfte und mich Karl Mays Elaborate schon immer langweilten, waren eben diese sechs Heroen – allen voran GG und der Chef, der in seiner Sprechweise so angenehm norddeutsch erschien – auch die meinen.

Lange Zeit hindurch waren die im Buchhandel vergriffenen Bücher nur antiquarisch – und damit teuer; es werden bis zu 50 € für einen Band der zehnbändigen Reihe verlangt – zu erwerben, nun hat der Enkel Kranzens, Georg Kranz, dankenswerterweise eine (bearbeitete) Neuauflage initiiert; sie erscheint als Book on Demand, die ersten zwei Bände sind erschienen.

Von Georg Kranz werden auch Leseproben bereitgestellt; hier die aus dem dritten Band, Tod in der Skelettschlucht.

An Sekundärliteratur ist Dr. Uli Ottos Auf den Spuren von »Ubique Terrarum« zu nennen, ich hab's aber erst bestellt, noch nicht gelesen.