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Wozu eigentlich geschlossene soziale Netzwerke?

[Seit Oktober 2009 liegt hier schon ein Artikelentwurf zu Facebook herum, den ich anlässlich des Artikels Die Privatisierung des virtuellen Raums von Jürgen Fenn beenden möchte. »Facebook« steht hier natürlich für alle ähnlichen Formen geschlossener sozialer Netzwerke.]

So langsam beginne ich zu verstehen, was Facebook ist: ein Bereich im Netz, der von den Nicht-Facebook-Nutzern in der Regel nicht eingesehen werden kann und der von den Facebook-Nutzern als sicheres Refugium verstanden wird, das Schutz bietet vor dem bösen, weil offenen Teil des Internet.

Für mich, der ich den offenen Teil des Internet immer interessanter fand als geschlossene (weil Offenheit einen der zentralen Werte des Netzes darstellt), ist nun die Frage: warum sollte man sich bewusst um die Teilnahme des größeren Teils der Netzgemeinde bringen, indem man sich in einer geschlossenen Gesellschaft bewegt?

Der in Facebook eröffnete Account wird mehr oder minder freizügig mit einer kleineren oder größeren Menge persönlicher Daten gespickt. Sodann geht man auf Suche nach in Facebook vertretenen Bekannten und Verwandten, die man – so gefunden – als »Freunde« markiert. Mehr oder minder regelmäßig beglückt man die »Freunde« mit mehr oder minder ausführlichen Updates zur gegenwärtigen Befindlichkeit, kommentiert im Gegenzug andere Updates. Der einzige Vorteil, den ich gegenüber selbstgeführten Blogs sehe, ist der der (vermeintlichen) Datensicherheit: der Nutzer glaubt, nur die »Freunde« (die ja, und hier fangen die Schwierigkeiten an, gar nicht alle Freunde sind) könnten Updates wahrnehmen, vor der Öffentlichkeit seien sie verborgen. Die angeblich einfache Benutzung relativiert sich, sobald man Standardeinstellungen verändern möchte.

Interessant ist bei Facebook zudem das Entstehen eines gemeinsamen Bewusstseinsstromes aller »Freunde«: alle Meldungen von »Freunden« erscheinen in einer langen Textspalte samt Kommentaren – ein Phänomen, das im freien Netz in dieser Form nicht üblich, wohl aber herstellbar ist, zum Beispiel in der Form eines Planeten: ich könnte meine Blogsoftware anweisen, auf einer Seite alle Einträge der RSS-Feeds der von mir gelesenen Blogs darzustellen. Wesentliche Gründe gegen die Darstellung eines solchen Planeten sind beispielsweise urheberrechtliche: nicht alle Autoren haben ihre Einwilligung zu Wiederveröffentlichung gegeben. Außerdem kann sich ja jeder in seinem Feedreader seine eigene Zusammenstellung herstellen – eine wiederholte Veröffentlichung ist im offenen Netz völlig unnötig.

Nun aber zu den Einschränkungen: den oben benannten Artikel hat Jürgen Fenn auch auf Facebook veröffentlicht. Wer nun aber nicht Mitglied von Facebook ist, kann diese Netzadresse nicht erreichen. Zwar kann der Interessierte Facebook-Nutzer werden, doch muss er hierfür mit seinen Daten bezahlen. Das würde ich (anders als einen Internetzugang) niemandem nahelegen wollen, der nicht ganz genau weiß, was er tut. Die im Anschluss an die Facebook-Veröffentlichung des Artikels stattfindende Diskussion ist für die Öffentlichkeit leider auch verloren. Das ist schade (und in der Masse und konsequenten Weiterentwicklung schädlich), denn möglicherweise ist diese Diskussion wichtig für andere.

(In der Diskussion wird übrigens unter anderem der Standpunkt vertreten, Usenet und Mailinglisten seien Kommunikationsformen mit ausgesprochen elitärem Charakter. Das Gegenteil ist der Fall. Zwar haben an diesen frühen Netzmedien weniger Menschen teilgenommen, weil das Netz an sich kaum jemandem zugänglich war, das Medium Usenet an sich allerdings setzt außer einem einmalig einzurichtenden Newsreader nichts voraus und ist allemal so einfach zu bedienen wie verschiedene Webforen mit jeweils unterschiedlichen Bedienoberflächen. Klickibunti ist nicht immer einfacher.

Und auch in Bezug auf Mailinglisten ist der technische Anspruch denkbar gering: wer eine E-Mail verschicken kann, kann an einer Mailingliste teilnehmen. Dass Mailinglisten teilweise auf bestimmte Nutzergruppen beschränkt sind, liegt in der Natur der Sache, hat aber mit »elitär« so gar nichts zu tun.)

Für mich heißt das in der Konsequenz: ich erhalte meine Facebook- und XING-Accounts, und sie mögen für den einen oder anderen auch eine Möglichkeit sein, Kontakt aufzunehmen (da eine Freundschaftsanfrage auf Facebook anscheindend als weniger störend privat angesehen wird als eine E-Mail), meine technisch gestützte Kommunikation wird aber bevorzugt immer über die alten, öffentlichen Kanäle E-Mail und Homepage bzw. Blog stattfinden. Auf Facebook findet sich daher auch nicht dieser ganze Artikel, sondern nur ein Hinweis darauf.

Alle sozialen Netzwerke haben einen Button, der Freunde in das betreffende Unternehmen einlädt. Ich würde lieber ausladen: traut Euch heraus aus der kuscheligen Facebookstube, bastelt Euch ein Blog, seht, wie förderlich Diskussion außerhalb von Webforen sein kann, seid Öffentlichkeit und nicht Teil einer ökonomischen Verfügungsmasse.

Trackbacks

ats20.de am : Tschüß, Zuckerberg.

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Ich habe mir Facebook eine Weile angesehen, und weiß nun: es ist nichts für mich. Facebook arbeitet gegen die Idee eines freien Netzes, das ich für wünschenswert halte. Und so nehme ich den Quit Facebook Day zum Anlass, mich dort und gleich auch bei X

Kommentare

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Markus Kolbeck am :

*Ich habe ja immer & sofort überall mitgemacht. Kaum im Internet (1995 BBS-Mailbox-Point mit Usenet-Zugang, 1996 eigentliches Internet), schon ne eigene Homepage, zig Mailinglisten, Hans Dampf im Usenet, Webforen, ab 2001 Weblogs, als diese in D gerade einmal so bekannt wurden, ein zweijähriger Wiki-Hype, dann alles, was so an Web 2.0 anfiel, einschließlich Twitter und Facebook.

Und nun habe ich mich aus ALLEM zurückgezogen. Mir stößt vor allem eine, in meinen Augen negative Eigenschaft auf. All diese Angebote der Vernetzung und Kommunikation absorbieren Zeit und Aufmerksamkeit. Man klebt am Rechner. Man kreiselt wie eine Motte um die brennende Lampe. Ringsum aber dunkel.

Die Blogosphäre dümpelt dahin. Aus meiner Blogroll verschwinden immer wieder Blogs, die aufgegeben haben oder in denen sich immer weniger tut. Vielleicht täuscht mein Eindruck. Wenn man einmal Abstand von den ehedem so als faszinierend und unverzichtbar betrachteten Aktivitäten gewonnen hat, versteht man deren Strahlkraft plötzlich kaum noch. Allerdings ist der Entzug von dieser Droge hart.

Hanjo am :

*Mir gefällt Dein Motten-Bild, obwohl ich mit meiner Onlinepräsenz ja um Größenordnungen unter Deiner (früheren) liege.

Das Netzleben ist mir zwar eine nicht unwichtige Bereicherung, gleichzeitig aber auch verzichtbarer als so manches andere. Nie habe ich mich auf das Lesen eines Blogs so gefreut wie nach Weihnachten auf Pynchons Gegen den Tag (an dem ich noch immer lese) – allein dieses Buch in Händen zu halten und zu spüren, dass es unbekannte Geschichten in herausfordernder Form für die nächsten Wochen enthält … Dieser Unterschied ist mir wichtig.

Aber Du hast Recht: der Sog ist spürbar.

Markus Kolbeck am :

*Für das Bildchen kann ich nichts; es wurde mir von deiner Software zugeordnet. Mir kam noch in den Sinn, daß einigen Bloggern die Ausdünnung der Blogosphäre bewußt geworden ist. Die Gegenbewegung, die mich derzeit sehr erfreut und erfrischt, heißt Tagebuchblogen. Es ist also noch nicht alles verloren. Und ich als chronisch Mitteilungssüchtiger weiß auch nicht, wie lange ich dem Impuls, online wieder tätig zu werden, noch widerstehen kann.

Hanjo am :

*Mit »Motten-Bild« meinte ich das sprachliche Bild: »Man klebt am Rechner. Man kreiselt wie eine Motte um die brennende Lampe. Ringsum aber dunkel.« Dein softwareseitig zugeordnetes Monster-Bild ist aber natürlich auch hübsch. :-)

Zum Bloggen: der Hype ist vorbei. Ich finde das gar nicht so schlimm. Soll'n die doch alle twittern. Tagebuchbloggen lese ich auch gern. Aber die spürbare Verpflichtung für den Autor wird dann ja eher größer. Ich würde das gar nicht leisten können und wollen.

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