Gelesen. Krall.

Was für die Reportagen Kapuścińskis gilt, gilt natürlich auch für die Hanna Kralls: es sind Reportagen aus einer Zeit mit mehr Zeit (und weniger Alternativvergnügungen) und für Menschen, die Muße haben, sich in ein anderes (Er-) Leben hineinzudenken, mithilfe des Autors den eigenen zeitlichen oder lokalen Horizont zu erweitern.
Während Kapuściński sich als gefälliger Erzähler präsentiert, dem leicht zu folgen ist, sind die Reportagen Kralls rauh, wider den Strich gekratzbürstet: man muss schon sehr genau lesen, um die Leben, die Hanna Krall schildert, in ihren Facetten mitzubekommen und nicht zu rasch an der Flut der Namen und Verhältnisse zu scheitern. Wenn dies jedoch gelingt, eröffnet sich dem westlichen Leser ein Blick auf die polnische Gesellschaft der siebziger und achtziger Jahre, der genau und aufschlussreich ist: wundert sich zum Beispiel der westliche Reisende über die vielen begonnenen, aber noch nicht fertiggestellten Rohbauten im Land, bekommt er dieses Phänomen anhand des Schicksals des Lokführers Cudny erklärt:
»Bis zum 26. Juni um 21.06 führte der Lokführer Cudny ein glückliches Leben.
Nachts war er auf den Schienen, tagsüber baute er an seinem Haus, dann war es mal wieder umgekehrt, er schlief seine vier Stunden und hatte an allem seine Freude.
[...]
An seinem Haus baute er seit fünfzehn Jahren. Ganz allein, nur Frau und Tochter halfen ihm.
[...]
Sie schachteten die Baugrube aus, gossen die Fundamente und karrten die Steine heran – alles allein. Er stülpte sich einen nassen Sack über den Kopf und holte Ziegel aus dem Brennofen, die Tochter ging auf den Bau, kaum daß die Schule aus war. Im Theater waren sie einmal – das ist zwanzig Jahre her, einmal auch im Kino, das war vor zehn Jahren, dafür aber sah er – wenn er die Strecke von Warschau nach Tłuszcz fuhr – in Zielonka sein Haus. Er sah den grauen Putz, die Veranda, die Terrasse, er dachte daran, was an dem Haus noch zu tun blieb – und war glücklich. [25 f.]
Nachts war er auf den Schienen, tagsüber baute er an seinem Haus, dann war es mal wieder umgekehrt, er schlief seine vier Stunden und hatte an allem seine Freude.
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An seinem Haus baute er seit fünfzehn Jahren. Ganz allein, nur Frau und Tochter halfen ihm.
[...]
Sie schachteten die Baugrube aus, gossen die Fundamente und karrten die Steine heran – alles allein. Er stülpte sich einen nassen Sack über den Kopf und holte Ziegel aus dem Brennofen, die Tochter ging auf den Bau, kaum daß die Schule aus war. Im Theater waren sie einmal – das ist zwanzig Jahre her, einmal auch im Kino, das war vor zehn Jahren, dafür aber sah er – wenn er die Strecke von Warschau nach Tłuszcz fuhr – in Zielonka sein Haus. Er sah den grauen Putz, die Veranda, die Terrasse, er dachte daran, was an dem Haus noch zu tun blieb – und war glücklich. [25 f.]
Auf diese Weise bleibt uns noch viel zu lernen.
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