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Gelesen. Chabon.

Michael Chabon: Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay. Übertragen von Andrea Fischer. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2002.

Ein Roman über die US-amerikanische Comic-Industrie und die in ihr Schaffenden vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg und als solcher durchaus lehrreich. Kavalier, vor den Nazis aus Prag geflohener Jude, der sich dazu natürlich des Golems bedienen musste, und Clay, sein Cousin, erdenken Geschichten um den Superhelden Eskapist, die ein zunehmend größeres Publikum des aufstrebenden Mediums liest. Man könnte es als Absicht verstehen, dass der Roman ebenso wie die entstehenden Hefte von einer mindestens zeitweise übertrieben erscheinenden Breitwandüppigkeit zeugt – Farben nicht von Technicolor, sondern noch greller, dabei ebenso grob gerastert wie der Druck der frühen Superman-Hefte –, und damit einer Überwältigungstrategie durch immer mehr vom Besten folgt, die wie beim Hollywood-Film in technischer Perfektion Qualität bedeuten soll und doch mehr oder minder willkürlich kombinierte Inhalte – behauptete Freude, Liebe, gezeigtes Leid – stets nur als Mittel zum Zweck verstehen kann. So reicht es nur zum Melodram.

»Was könnte den Figuren denn noch so passieren?« scheint häufiger die Frage gewesen zu sein, die sich Chabon beim Schreiben stellte. Darin ist er seinen Figuren ähnlich, deren Schaffensprozess genau und schlüssig gezeigt wird: die Variationen von Superheld*innen, die jeweils gewisse Ähnlichkeiten haben dürfen, aber auch nicht zu viele, damit nicht die Copyright-Klage des Konkurrenten folgt. Die immer neue, noch unwahrscheinlichere Abenteuer bestehen, Kräfte entwickeln, Feinde besiegen müssen, um die Leser*innen jede Woche neu von der Notwendigkeit des Kaufes zu überzeugen. Nun, manchmal funktioniert’s halbwegs. Übrigens gerade dann, wenn es nicht um neue Abenteuer der Figuren geht.

Wie viele einsame Kinder war sein Problem nicht die Einsamkeit an sich, sondern dass er nie allein gelassen wurde, um sie zu genießen. Es gab immer wohlmeinende Erwachsene, die versuchten, ihn zu bequatschen, zu bessern und zu beraten, zu bestechen, zu beschwatzen und zu bedrohen, damit er sich Freunde suchte, laut und deutlich sprach, an die frische Luft ging; und am schlimmsten waren die anderen Kinder, die offenbar nicht spielen konnten, ohne ihn bei gemeinen Spielen auzuziehen, oder ihn nachdrücklich auszuschließen, wenn die Spiele nett waren. [Ebd., 658]

Abgesehen von der fragwürdigen Struktur des ersten Satzes, die auch der Übersetzung geschuldet sein kann, eine treffende Beschreibung – die jedoch auch das Problem des Autors im Überborden der Einfälle zeigt: es reicht eben nicht das »bequatschen«, nein, es müssen noch fünf weitere Möglichkeiten gefunden werden, die zudem teilweise gleichbedeutend sind.

Am gelungensten erscheint mir die Episode, in der die Protagonisten Welles’ Citizen Kane sehen und Kavalier aufgrund der ihn zutiefst beeindruckenden innovativen Machart des Films eine ganz neue Art der Bildsprache im Comic entwickelt.

Über die lange Strecke der Erzählung aber (über achthundert Seiten!) bleibt ein schales Gefühl.

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