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Du bist verantwortlich.

Der Herr Johnny von der Spree hat eine Diskussion über eine Deutschland-Kampagne initiiert, die wohl derzeit in der Mache ist. Das ist nicht schlecht, obwohl diese Nationalismus-Debatten meist auf einem Feld sich tummeln, das Interessantes gar nicht mehr enthalten kann, weil eh schon alles mal gesagt wurde – aber sei's drum.

Alles Entscheidende, was in diesem Fall gegen die Aufnahme eines weiteren Buttons in irgendwelche Buttonzeilen oder -spalten spricht, hat Anke Gröner schon differenziert dargelegt und bitte ich dort nachzulesen.

Der Slogan »Du bist Deutschland« ist es, der mich interessiert und den ich hier noch einmal genauer beleuchten möchte. Der Satz wird gemeinhin als anbiedernd und deutschtümelnd verstanden. Ich möchte ihn sehen als aufklärerisch und subversiv.

Aufklärerisch: sapere aude! – dieser Appell steht hinter diesem Satz: du bist verantwortlich für das, was hier geschieht. Es ist sehr einfach, eine Liste zu eröffnen und zu versammeln, was »ihr« alles falsch macht. Schon schwieriger ist es, die eigene Verantwortlichkeit zu erkennen, die vielen Handlungen zu sehen, die man unterlässt, obwohl sie dringend notwendig wären und vielleicht auch die allzeit bereite Kritikkeule mal einzupacken und stattdessen etwas zu tun. In Monty Pythons Das Leben des Brian kommt eine Szene vor, in der eine Masse Menschen ihrem Messias im Chor zuruft »Ja, wir sind alle Individuen!« – So scheinen mir die Leute mit Spreeblicks Button umzugehen.

Der unfreie Mensch ist der unbeschwerte: immer tragen andere die Schuld für ihn. Und so sind wir dank Johnnys Liste jetzt auch sicher, warum wir die Guten und die anderen die Bösen sind. – Dschungs und Mädchen, mit Verlaub: diese Art des Denkens ist unter dem Deckmantel des kritischen Bewusstseins eskapistisch. Der Slogan könnte uns daran erinnern: was tust du eigentlich für die Gemeinschaft, in der du lebst? Was tust du eigentlich - außer furchtbar unangepasst zu denken und dir Buttons ins Blog zu pflastern?

Das Subversive übrigens liegt darin, dass der Slogan an jeden gerichtet ist: auch an den angepunkten Bewohner einer Wagenburg. Auch an die Obdachlose. Auch an die Castor-Protestler. Auch an die Kehrwochen-Dissidentin. Und auch an Sie, in dieser eigentümlichen Art, in der Sie so vor sich hinleben. Und wir alle können hinzutun zu unserem (!) Gemeinwesen, was wir bereit sind zu geben. Ist das nicht wunderbar?

»Also räumt den Saustall endlich auf.« – so manches Mal bin ich versucht, diesen Satz zu Schülerinnen und Schülern zu sagen, in deren Klassenraum ich gerade eintrete. Besonders motivierend indes ist der Satz nicht. Es ist einfacher anzufangen irgendwo: nach kürzester Zeit machen viele (selten alle) mit.

[Update:] Da Spreeblick-Johnny und ich noch die eine oder andere Mail ausgetauscht haben, hier noch eine Ergänzung, die vielleicht dem Verständnis dient:

In meinem Posting stand ja:

»Der Satz wird gemeinhin als anbiedernd und deutschtümelnd verstanden. Ich möchte ihn sehen als aufklärerisch und subversiv.«

Ich möchte ihn so sehen - wir können ihn uns zu eigen machen. Das ist so wie das grundgesetzlich garantierte Widerstandsrecht, auf das sich Castor-Blockierer berufen: es kommt immer darauf an, sich gar nicht so ernst gemeinte Sätze zu eigen zu machen. (Artikel 14, (2): »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« wäre ein ähnliches Beispiel.)

Wir könnten ihn uns zu eigen machen: wir - das sind eben auch all die unangepassten, unzufriedenen Menschen, die ich erwähnte. Ob wir uns das Heft aus der Hand nehmen lassen oder nicht, ist in vielen Dingen unsere Sache.

Wenn mir jemand sagt: »Du bist Deutschland«, dann muss derjenige auch damit rechnen, dass ich meinen Anteil verwirklicht sehen möchte.

Auf die Frage, ob ich »subversiv« ernst meine, antwortete ich: [Ich schrieb diesen Satz] mit dem gleichen Impetus, den auch Camus nutzte, als er sagte, man müsse sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen: zuweilen fördert die Umkehrung einer eigentlich selbstverständlichen Deutung erkenntnisförderndes Potential zutage.

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Kommentare

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hartzcore I am :

*theo vier fahr´n nach lodz

Eine neue Sau wurde in Klein-Bloggersdorf gesichtet chillcore

erst bin ich exportweltmeister, dann bin ich pabst und jetzt werd ich auch noch deutschland

Jung von Matt und Kempertrautmann engagieren sich für Deutschland
Im Auftrag der Initiative Pa...

hartzcore I » theo vier fahr´n nach lodz am :

*[...] tlich Der unfreie Mensch ist der unbeschwerte: immer tragen andere die Schuld für ihn. - ats20 nur was nützt mir der neue name der bar, um bei dem beispiel zu bleiben, wenn mich der [...]

der Silberrücken am :

*Ziemlich simpel:
1. Sachlich falsch. Weder ich, Du noch sonst wer ist Deutschland.
2. Hinterhältig, denn die Zweitbotschaft lautet: wir Öffentlichen, die Gutmenschen, wir Promis tun, jetzt tu du endlich mal was... nur ein Beweis dafür, daß diese Damen und Herren das selberdenken längst aufgegeben haben.
3. Die scheinbare Integration der öffentlichen Gutmenschen.
Frage: Wann haben sie einen Arbeiter, einen Arbeitslosen oder einen obdachlosen Menschen der mal klar und deutlich und obendrein ungefiltert in einer Kerner Talkshow seine Meinung sagt, gesehen?
4. Identifikation, Seele, Mittun kann man nicht per Werbespot verordnen.
5. Halte die Leute nicht für blöd. Sie, die Leute, sehen, hören und spüren doch, was in Deutschland abgeht. Fehlte nur noch Herr Dr. Helmut Kohl mit "Ich bin 7 Millionen" oder Herr Esser mit: "Ich bin 30 Millionen" - "Wie sind Deutschland..."
Neeeee, geh mir einer weg
der silberrücken aus Hannover

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