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Gelesen (und lesend): Proust. VI.

Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. 6: Die Entflohene. Übertragen von Bernd-Jürgen Fischer. Stuttgart: Reclam, 2016.

Technische Daten des sechsten Bandes: 476 Seiten, davon 395 Text, der Rest Anhang (Anmerkungen, Inhaltsübersicht, Namensverzeichnis etc.). Wie seit dem zweiten Band stets mit zwei Lesebändchen; fadengeheftet. Wie die letzten Bände auch vorbildlich lektoriert.

Die Entflohene liest sich vergleichsweise wie eine Erzählung – allzu schmal ist der Band insgesamt, und auch Marcel fasst sich über weite Strecken vergleichsweise kurz.

Thema des ersten Kapitels »Kummer und Vergessen« ist Marcels Reaktion auf Albertines Weggang, wozu die Reflexion des Zustands, Nachforschungen über ihr Vor- und Nebenleben (wozu vor allem Albertines Erlebnisse mit Freundinnen und Zufallsbekanntschaften gehören), aber auch Versuche zählen, sie wiederzugewinnen. Diese allerdings sind – wie man sich nach den Beispielen für die Beziehungsunfähigkeit Marcels vorstellen kann – grundsätzlich dysfunktional und verlaufen stets nach dem Schema »Wenn ich ihr nur überzeugend vermittle, dass ich sie nicht brauche und mir nichts an ihr liegt, wird sie schon erkennen, dass sie zu mir zurückkehren muss.« Das gelingt natürlich nicht allzu schnell, und letztlich vereitelt ein tödlicher Reitunfall Albertines ihre Rückkehr.

In »Mademoiselle de Forcheville« begegnen wir Gilberte wieder – eine weitere verflossene Liebe, wie man sich erinnern kann – und Marcel bekommt weitere ihn beunruhigende Details über das Liebesleben Albertines berichtet.

Im »Urlaub in Venedig« erfährt Marcel von der Ehe Gilbertes mit Saint-Loup, später – in »Eine neue Seite an Robert de Saint-Loup« – ihrer Schwangerschaft, ebenso aber von dessen Homosexualität.

Verglichen mit vorigen Bänden überstürzen sich die Ereignisse geradezu, und die neuen Erkenntnisse Marcels über seine Freundinnen und Freunde werfen (erneut) ein fragwürdiges Licht auf seine Wahrnehmungsfähigkeit: so übertrieben er jede eigene Regung reflektiert, hin- & herwendet, aus allen Richtungen betrachtet, um schließlich doch zu einem anderen (oder doch noch einmal zu einem zu revidierenden, nun aber endgültigen (obwohl: da ist noch …)) Ergebnis zu kommen, so sehr entgeht ihm doch stets Entscheidendes, weil sein Fokus geradezu gezwungen immer auf Anderes gerichtet ist. Die flirrende Vielfalt der Sinneseindrücke und Empfindungen sowie die Konzentration auf gesellschaftliche Konventionen überdeckt das Wesentliche, das gleichwohl an allen Ecken & Enden hervorlugt und einfach nicht verborgen bleiben will. Marcel erscheint damit als programmatisch unzuverlässiger Erzähler: wir folgen ihm, und wie zufällig deutet er auf das, was ihm die ganze Zeit entgangen.

Band VII – der letzte! – läge schon neben dem Lesesessel, ist aber leider in der Neuübersetzung erst für Oktober 2016 angekündigt.

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