Es kann auch zu viel werden: zur Computernutzung an Schulen.
Felix Schaumburg entwirft in seinem Beitrag Konzepte für die Computernutzung an Schulen ein Szenario, das mich gruseln lässt.
Ich gebe es zu: nachdem ich fragwürdig stolz war, als einer der letzten das Gymnasium ohne die Berührung von Computern verlassen zu haben (die folgenden Jahrgänge hatten schon Informatikunterricht im alarmanlagengeschützten »Sicherheitstrakt« der Schule), hat mich im Grundstudium die Begegnung mit Apple-Rechnern, Mailboxnetzen, Compuserve (100407.3475@compuserve.com) und schließlich dem sagenumwobenen Internet (vor allem Usenet) schließlich zum netzaffinen Menschen werden lassen. Die Entdeckung all dieser Bereiche war für mich interessant und bereichernd, und auch das war ein Grund für mich, seit 1998 mit einer Website und seit 2001 mit eigener Domain, ab 2002 mit Blog auch im Netz präsent zu sein. Im Jahr 2000 habe ich auf einer Fortbildungsveranstaltung meinen ersten Workshop zum Einsatz des Computers für L und S durchgeführt. Von Anfang meines Lehrerlebens an also spielte der Rechner in meinen Überlegungen zur Unterrichtsgestaltung eine Rolle.
Wenn ich allerdings Lehrer Szenarien entwickeln sehe, die von mehreren (im Unterricht zu nutzenden) Geräten pro S ausgehen und dies als Fortschritt preisen, muss ich konstatieren, dass meine kulturkritische Ader zu pochen beginnt. Das hat mehrere Gründe:
Viele S können noch nicht einmal richtig lesen. Damit meine ich nicht solche, die nicht schön vorlesen oder nicht ohne Finger unter der Zeile lesen können, sondern solche, die das sinnerfassende Lesen nicht beherrschen und – egal, ob aus Sach- oder literarischen Texten – glatt das Gegenteil von dem zu begreifen glauben, was im Text steht. Und von denen möchte ich nicht demonstriert bekommen, wie hübsch sie auf ihrem Smartphone herumwischen können und wie nett sich die Benutzeroberfläche dann verändert, sondern ich möchte, dass sie lesen können.
Viele S können sich nicht auf eine Sache konzentrieren. Richtig konzentrieren. Nur lesen. Nur schreiben. Nur denken. Inwiefern sollte ein Smartphone / ein Rechner / ein neues cooles Gadget das fördern können?
Locker wird im genannten Artikel über mehrere 100 Euro an Ausgaben für elektronische Gerätschaften gesprochen. Ich stelle fest: schon jetzt arbeiten meine Schüler lieber nachmittags im Supermarkt, um sich die Flatrate fürs Smartphone zu verdienen, statt, verdammt noch mal, ihre Chance zu nutzen und mit der Erledigung ihrer Hausaufgaben etwas für ihre Bildung zu tun. Sie fügen sich aufs Geschmeidigste ein ins Konsumierenmüssen um jeden Preis, denn sie haben verinnerlicht, dass das iPhone wichtiger sei als die Mathenoten. Muss Schule das unterstützen?
Wenn stattdessen die Familie die Gerätschaften zu zahlen hat, frage ich, welche Familie das kann, welche nicht, und welche Folgen das für letztere hat. Hier im ländlich geprägten Kreis Ostholstein wird gerade über höhere Schülerbeförderungskosten für Schulbusse gesprochen, und es gibt so einige Familien, die die wenigen Euro Erhöhung nicht zahlen können. Es gibt S, die fahren jetzt schon per Anhalter zur Schule …
Schule hat zweierlei zu leisten: einerseits hat sie auf die S und auf Veränderungen in der Gesellschaft reagieren. Die Reaktion muss aber nicht – Herr Schwarzmüller wies schon darauf hin – die bedingungslose Übernahme jeglicher Veränderung bedeuten, schon gar nicht, wenn es um private Praxis (Handynutzung) geht. Schule hat nämlich auch die Aufgabe, Inhalte und Grundfertigkeiten zu tradieren. Und wenn ich (vor dem Hintergrund immer zu knapper Stunden) zu wählen habe, was wichtiger ist – Lesen üben oder technische Geräte nutzen –, dann wird meine Wahl auf das Lesen üben fallen, denn das andere lernen meine S von allein.
Manche L finden es schick, zur technischen Avantgarde zu gehören. Aber es muss nicht gut sein, immer mehr Technik in der Schule zu nutzen. Die aristotelische Mahnung zur mesotes gilt auch hier. Wir haben an unserer Schule Beamer, Laptops, Rechnerräume, interaktive Whiteboards etc. – und ja, ich kann diese Dinge bedienen und nutze sie zuweilen auch im Unterricht. Aber etwas Fantastischeres als Kreide und eine Tafel, die schon wieder abgewischt ist, bevor die Laptops ausgepackt sind, hat mir noch keiner gezeigt.
L haben nicht jedem Trend hinterherzulaufen (was hip wirkt, aber auch square, nämlich verdammt konformistisch sein könnte), sondern auch zu betrachten, was es bedeutet, wenn S nicht mehr ohne ihr Hochpreishandy sein können. Schule muss auf eine Zukunft vorbereiten. Das muss aber nicht geschehen, indem jedes gegenwärtige Phänomen gleich übernommen wird. Schule darf und soll auch Ruhepol in der Gesellschaft sein, ein Reflexionsort.
Ich gebe es zu: nachdem ich fragwürdig stolz war, als einer der letzten das Gymnasium ohne die Berührung von Computern verlassen zu haben (die folgenden Jahrgänge hatten schon Informatikunterricht im alarmanlagengeschützten »Sicherheitstrakt« der Schule), hat mich im Grundstudium die Begegnung mit Apple-Rechnern, Mailboxnetzen, Compuserve (100407.3475@compuserve.com) und schließlich dem sagenumwobenen Internet (vor allem Usenet) schließlich zum netzaffinen Menschen werden lassen. Die Entdeckung all dieser Bereiche war für mich interessant und bereichernd, und auch das war ein Grund für mich, seit 1998 mit einer Website und seit 2001 mit eigener Domain, ab 2002 mit Blog auch im Netz präsent zu sein. Im Jahr 2000 habe ich auf einer Fortbildungsveranstaltung meinen ersten Workshop zum Einsatz des Computers für L und S durchgeführt. Von Anfang meines Lehrerlebens an also spielte der Rechner in meinen Überlegungen zur Unterrichtsgestaltung eine Rolle.
Wenn ich allerdings Lehrer Szenarien entwickeln sehe, die von mehreren (im Unterricht zu nutzenden) Geräten pro S ausgehen und dies als Fortschritt preisen, muss ich konstatieren, dass meine kulturkritische Ader zu pochen beginnt. Das hat mehrere Gründe:
Viele S können noch nicht einmal richtig lesen. Damit meine ich nicht solche, die nicht schön vorlesen oder nicht ohne Finger unter der Zeile lesen können, sondern solche, die das sinnerfassende Lesen nicht beherrschen und – egal, ob aus Sach- oder literarischen Texten – glatt das Gegenteil von dem zu begreifen glauben, was im Text steht. Und von denen möchte ich nicht demonstriert bekommen, wie hübsch sie auf ihrem Smartphone herumwischen können und wie nett sich die Benutzeroberfläche dann verändert, sondern ich möchte, dass sie lesen können.
Viele S können sich nicht auf eine Sache konzentrieren. Richtig konzentrieren. Nur lesen. Nur schreiben. Nur denken. Inwiefern sollte ein Smartphone / ein Rechner / ein neues cooles Gadget das fördern können?
Locker wird im genannten Artikel über mehrere 100 Euro an Ausgaben für elektronische Gerätschaften gesprochen. Ich stelle fest: schon jetzt arbeiten meine Schüler lieber nachmittags im Supermarkt, um sich die Flatrate fürs Smartphone zu verdienen, statt, verdammt noch mal, ihre Chance zu nutzen und mit der Erledigung ihrer Hausaufgaben etwas für ihre Bildung zu tun. Sie fügen sich aufs Geschmeidigste ein ins Konsumierenmüssen um jeden Preis, denn sie haben verinnerlicht, dass das iPhone wichtiger sei als die Mathenoten. Muss Schule das unterstützen?
Wenn stattdessen die Familie die Gerätschaften zu zahlen hat, frage ich, welche Familie das kann, welche nicht, und welche Folgen das für letztere hat. Hier im ländlich geprägten Kreis Ostholstein wird gerade über höhere Schülerbeförderungskosten für Schulbusse gesprochen, und es gibt so einige Familien, die die wenigen Euro Erhöhung nicht zahlen können. Es gibt S, die fahren jetzt schon per Anhalter zur Schule …
Schule hat zweierlei zu leisten: einerseits hat sie auf die S und auf Veränderungen in der Gesellschaft reagieren. Die Reaktion muss aber nicht – Herr Schwarzmüller wies schon darauf hin – die bedingungslose Übernahme jeglicher Veränderung bedeuten, schon gar nicht, wenn es um private Praxis (Handynutzung) geht. Schule hat nämlich auch die Aufgabe, Inhalte und Grundfertigkeiten zu tradieren. Und wenn ich (vor dem Hintergrund immer zu knapper Stunden) zu wählen habe, was wichtiger ist – Lesen üben oder technische Geräte nutzen –, dann wird meine Wahl auf das Lesen üben fallen, denn das andere lernen meine S von allein.
Manche L finden es schick, zur technischen Avantgarde zu gehören. Aber es muss nicht gut sein, immer mehr Technik in der Schule zu nutzen. Die aristotelische Mahnung zur mesotes gilt auch hier. Wir haben an unserer Schule Beamer, Laptops, Rechnerräume, interaktive Whiteboards etc. – und ja, ich kann diese Dinge bedienen und nutze sie zuweilen auch im Unterricht. Aber etwas Fantastischeres als Kreide und eine Tafel, die schon wieder abgewischt ist, bevor die Laptops ausgepackt sind, hat mir noch keiner gezeigt.
L haben nicht jedem Trend hinterherzulaufen (was hip wirkt, aber auch square, nämlich verdammt konformistisch sein könnte), sondern auch zu betrachten, was es bedeutet, wenn S nicht mehr ohne ihr Hochpreishandy sein können. Schule muss auf eine Zukunft vorbereiten. Das muss aber nicht geschehen, indem jedes gegenwärtige Phänomen gleich übernommen wird. Schule darf und soll auch Ruhepol in der Gesellschaft sein, ein Reflexionsort.
Trackbacks
www.konstantinklein.com am : PingBack
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ats20.de am : Wie geht's weiter mit der Schule?
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Das Jahr ist nun zu Ende, die Korrekturenstapel abgetragen (der nächste zu korrigierende Doppelstapel kommt bis zum 27.12. per E-Mail), und so ist Zeit, den Kopf einmal wieder zu heben und um sich zu horchen, was denn so diskutiert wird … Gunter Dueck
Kommentare
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Herr Rau am :
Felix Schaumburg am :
Wir werden die digitalen Medien wohl nicht mehr los, müssen uns also mit ihnen arrangieren und bestmöglich nutzen. Auch in der Schule. Nicht weil wir "hip" sind, sondern weil es einfach gegeben ist.
Es geht in meinem Entwurf im Blog nicht darum, eine Forderung nach mehr Geräten zu formulieren, sondern eine Abschätzung zu machen, wie sich die Medienausstattung der Schulen verändern wird. Dazu habe ich vermutet, dass Schulen vermehrt Infrastruktur statt Endgeräte bereithalten werden, weil letztere in Schülerhand sind.
Die Lernsettings werden wir um diese Entwicklung herum (neu?) denken und entwickeln müssen.
Hanjo am :
Meine Befürchtung ist, dass wir, die wir den ganzen Computer- und Internetkrempel klasse finden, über das Ziel hinausschießen und auf diesem Gebiet eher zu viel als zu wenig tun.
Wann immer ich über neue Entwicklungen im Unterricht lese, sind es die digitalen Medien, über die die Autoren ihre Meriten verdienen wollen. Ich möchte Skepsis anmelden, dass dies der Weisheit letzter Schluss ist.
Dr. Wilfried Schneider, Wien am :
Die Regel ist eigentlich einfach. Überall wo man Computer für die Optimierung von Abläufen (z.B. Finanzmathematik) oder für Einzelfakten (vgl. wann hat Rousseau den "Discours sur l'inégalité" geschrieben) auch außerhalb der Schule verwendet, sollte man dies auch in der Schule tun.
Permanent Lap-Top,Computer und Smartphone einzuschalten, nur um "aktionsreichen" Unterricht zu produzieren ist auch arbeitsphysiologisch wenig sinnvoll. Im übrigen zeigen unsere Erfahrungen, dass die lieben Kids alles andere machen als sie gerade sollen, nämlich ihre Facebookseite betreuen, SMS schreiben, Twittern etc.
Abgesehen davon, ist der Minibildschirm des Smartphones eben nur für das Aufsuchen von Begriffen und Definitionen sinnvoll, nicht jedoch für umfangreichere vernetzte Informationen, die eigentlich der Sinn von Lernen sein sollten.
Wikipädia als Hauptquelle von Informationen wird immer beliebter, obwohl dort Vieles sehr verkürzt dargestellt wird. An Universitäten verbieten wir bereits Zitate aus Wikipädia, da sie meist den Stand des Wissens in Form von Tertiärliteratur wiedergeben.
Wollen wir unsere SchülerInnen studierfähig machen, müssen wir sie zum vollständigen Text führen und der wird vom Bildschirm langsamer, fehleranfälliger und punktueller abgelesen als von gedruckten Texten, dies sagt uns zumindest die Leseforschung.
Also soviel Computer wie notwendig und sowenig Computer wie möglich, schon weil die Kids ohnehin zuviel Zeit mit Smartphones und Computern verbringen.
philosophus am :
Finde ich etwas unfair, Kreide und Tafel gegen den Laptop auszuspielen. Fantastisch wäre es doch auch, wenn Schüler X mit Kreide die zuvor unbekannte Jahreszahl an der Tafel ergänzt, die er mit seinem Smartphone, muss ja kein iPhone sein, beiläufig im Internet recherchiert hat, weil sie seinem Philosophielehrer gerade nicht eingefallen ist (Wann hat Rousseau den "Discours sur l'inégalité" geschrieben?).
Hanjo am :
Weiß nicht, ob ich Dein Szenario fantastisch finde, Patrick. Zwar ist es fein, wenn auf diese Weise der S sich einbringen kann – aber was bedeutet es für den, der's aufgrund eines chronischen Smartphonemangels nicht kann?
Der Smartphonenutzer ist für das Finden einer trivialen Information mindestens zwei Minuten lang abgelenkt – im Regelfall der Nachbar links und rechts von ihm auch. Vielleicht auch noch ein vierter, der beweisen will, dass sein Smartphone schneller ist. Ist das gut?
Finden wir es in jedem Fall richtig, wenn eine geschlossene Kommunikationssituation wie ein Unterrichtsgespräch (eine Arbeitsphase wäre ein anderer Fall) durch das Abfragen einer Datenbank unterbrochen wird?
Möchtest Du das gemeinsame konzentrierte Nachdenken über ein Problem durch die naseweise und im Hinblick auf die Problemlösung vollkommen irrelevante Information »1755!« unterbrochen sehen?
philosophus am :
Und was nun den Einsatz der Geräte angeht, bin ich völlig mit Dir einverstanden - es gibt Phasen, in denen sich das anbietet, und eben Phasen, in denen das nicht geht. Aber das gilt für jedes Lernmittel, das in der Schule verwendet wird.
Das Smartphone als Lernmittel soll ja nicht Selbstzweck sein, sondern bestimmte (!) Lernprozesse unterstützen. Dass es ggf. zum sinnlosen Gimmick werden kann, diese Gefahr sehe ich auch, aber den Schülern den Unterschied zu vermitteln (und ihnen vielleicht überhaupt erstmal klar zu machen, dass man mit dem Smartphone mehr machen kann als nur zu daddeln), halte ich für lohnenswert.
Hanjo am :