Honorée Fanonne Jeffers: Die Liebeslieder von W. E. B. du Bois. Übertragen von Maria Hummitzsch und Gesine Schröder. München: Piper, 2022.
Der alles zusammenhaltende Strang dieses Buches: Ailey Pearl Garfield entdeckt im Laufe ihres Lebens und ihrer akademischen Forschungen ihre Familiengeschichte. Mit dieser zusammenhängend wird aber aus vielen Perspektiven und viele Figuren verfolgend die Eroberung Amerikas, der koloniale Missbrauch Afrikas, der Genozid an der indigenen Bevölkerung, die Sklaverei in den USA geschildert – und nebenbei gezeigt, dass das Konzept des melting pot auch bittere Wahrheiten abbilden kann.
Unter dem Titel »Deprivation Exercises« schreibt Ed Park in der New York Review of Books kenntnisreich über das Werk Ágota Kristófs, von der man mindestens Das große Heft gelesen haben sollte.
Weil wir ja in Stockholm auch eineSchäre besuchten, musste ich natürlich die Reihe lesen. Der erste Band ist sowohl von der Charakterzeichnung und -entwicklung noch sehr holprig und schlicht; allmählich wird’s gelinde besser. Fertiggelesen allerdings nur der Ordnung halber.
Die Titel der Kriminalromane Viveca Stens:
Tödlicher Mittsommer. Tod im Schärengarten. Die Toten von Sandhamn. Mörderische Schärennächte. Beim ersten Schärenlicht. Tod in stiller Nacht. Tödliche Nachbarschaft. Mörderisches Ufer. Flucht in die Schären. Das Grab in den Schären.
Alle übertragen von Dagmar Lendt. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2010–21.
Jan Guillou: Evil. Das Böse. Übertragen von Gabriele Haefs. München: Deutscher Taschenbuch, 2022.
Formen von Gewalt – Prügel vom Vater, Bandenbildung in der Schule, systemisches Gewaltregime im Internat – und ihre Überwindung.
Handwerklich gelungen – in der Essenz diskutierenswert, denn der gebeutelte Protagonist kann in falschem Leben eben auch nicht richtig leben; wenn seine Enthaltsamkeit von Gewalt gelingt, dann, weil der frühere, bewusst und kühl inszenierte Gewaltexzess im Bewusstsein der Internatsschüler fortwirkt. Und noch die letzten Seiten deuten auf einen weiteren Gewaltexzess hin, so berechtigt er dem Leser auch erscheinen mag. Gegen Gewalt hilft nur Gewalt – und der Stärkere überlebt: zwei diskutierenswerte Lehren aus dem Jugendbuch.
Was passiert, wenn ein Trendsetter aus der Großstadt angesichts einer in einem vom kohletagebaubedingten Abriss bedrohten Dorf lebenden Gruppe Verlorener und ihrer heimischen Spezialität, dem Solei, das große Geld wittert und das Produkt in der Großstadt vermarktet … gelungene Darstellung kapitalistischer Marktmechanismen inklusive ähnlich schlechter Wortspiele wie im Titel des Romans (Friseursalons sind nichts dagegen!).
Nachdem ich vor vielen Jahren die gekürzte Fassung las, nun die Relektüre. Nach wie vor ein kraftvolles Buch mit guten Beobachtungen und feinen Formulierungen, aber auch dem Entstehungsprozess geschuldeten formalen Schwächen.
Da das ganze Buch schreit »Ihr macht es falsch in Hoyerswerda (und anderenorts)!«, ist nicht wirklich ersichtlich, was die dieser Fundamentalkritik gegenüber marginalen Streichungen aus Sicht der DDR-Zensoren gerade gerückt haben könnten.
Interessant zu lesen auch als ergänzende Lektüre zu Grit Lemkes Kinder von Hoy.
Tsitsi Dangarembga: Aufbrechen. Übertragen von Ilija Trojanow. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 2022.
Gefällt mir besser als das erste, das ich las (das aber eigentlich Nummer drei der Tambudzai-Trilogie ist): hier ist die Protagonistin noch hoffnungsvoll, entdeckend, neugierig – der Blick auf die traditionelle Welt, die sie verlässt, und selbst den nur vermeintlich progressiven, weil vergleichsweise hochgebildeten Schulleiter in der Verwandtschaft, in dessen Schule sie aufgrund des Todes ihres Bruders einen Platz bekommt, aber schon bitter hellsichtig.
Das Wichtigste beim Schreiben eines Blogposts ist die These. Das ist meine in langjähriger Erfahrung als Autor und Redakteur gehärtete, nun ja, These: Das Maß an Anstrengung, das die Autor*in in das Ausformen und Anspitzen und Ausdifferenzieren ihrer These investiert hat, ist der mit Abstand deutlichste Indikator, ob der Text zum Blogpost taugt oder nicht. Die These ist es, die dem Text Struktur, Richtung und Zug verleiht. Sie ist es, die ihn mit Energie auflädt.
Die These wird natürlich noch weiter ausgeführt. –
Das gilt eben auch für philosophische Essays, wie ich sie im Fach Philosophie gern schreiben lasse.
Rebecca F. Kuang: Yellowface. New York: Morrow, 2023.
Unbekannte weiße Autorin stiehlt das Manuskript ihrer erfolgreichen asiatisch gelesenen Kollegin, die neben ihr betrunken an einem Stück Pfannkuchen erstickte, und gibt es als ihr eigenes aus. Weil sie für die Veröffentlichung des sofort zum Bestseller werdenden Buches ihren Namen in einen, der als asiatisch verstanden werden kann, geändert hat, sieht sie ihre Auffassung bestätigt, dass man heutzutage nur noch als Mensch mit offenkundig ausländischen Wurzeln erfolgreich sein kann. Bald jedoch wird ihr Erfolg von Demaskierung bedroht …
Ein überzeugender Thriller, nur gegen Ende mit Längen, aber insgesamt ein unterhaltsames Spiel um die Eigenheiten des aktuellen amerikanischen Literaturbetriebs mit Erwartungen an Diversität – aber nicht zu viel! –, literarische Aufarbeitung von historischem Unrecht – aber nicht von den falschen Leuten! –, Alltagsrassismen – aber wir doch nicht! – etc. Dabei werden virtuos die Vorurteile der am inneramerikanischen Kulturkampf Beteiligten gegeneinander ins Spiel gebracht.
Die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse für ein Buch Scheers, das mich nicht so interessiert, war für mich Anlass, im Werk der Autorin, die mir bis dahin entgangen war, zu stöbern. Machandel ist Familien- und Zeitgeschichte in Mecklenburg (und Berlin), insofern ein Teil dessen, was Uwe Johnson deutlich virtuoser in seinem Roman Jahrestage behandelt hat. Da ihr Roman eine Generation später angesiedelt ist als Johnsons, spielen Ereignisse in der DDR und zum Ende derselben eine größere Rolle.
Scheer erzählt das Geschehen um ein »Schloss« genanntes Herrenhaus und die mit diesem verknüpften Schicksale multiperspektivisch, aber in diesen Stimmen (mit Ausnahme der emotional zurückgenommenen Funktionärssprache Hansens) wenig charakteristisch, stilistisch weitgehend konventionell. Es hat mir trotzdem gefallen, auch wenn es eher ein stilles denn ein großes Buch ist.